Betrieb

Gefahrstoffe in der Landwirtschaft

Das Spektrum an gefährlichen Chemikalien, die in der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt werden, ist sehr breit. Es geht weit über die chemischen Pflanzenschutzmittel hinaus, an die wohl viele zuerst denken, wenn von Giften in der Landwirtschaft die Rede ist. Neben den Pflanzenschutzmitteln (Pestiziden) im engeren Sinn werden Mittel zur Bekämpfung von Schadorganismen eingesetzt (sogenannte Biozide) – beispielsweise Vorratsschutzmittel, Desinfektionsmittel, Holzschutzmittel –, aber auch Reinigungsmittel, Lösungsmittel und viele andere. Auch Tierarzneimittel sind nicht immer harmlos. Dazu kommen noch Arbeitsstoffe, die nicht absichtlich eingesetzt werden, aber im Zuge der Arbeit entstehen, und die sehr gefährlich sein können. Im landwirtschaftlichen Bereich sind hier zum Beispiel Gär- und Faulgase zu nennen, aber auch Stäube aus unterschiedlichsten Quellen.

Diese vielfältigen Chemikalien können zu Unfällen führen, etwa durch Verbrennung, Verätzung oder Vergiftung; aber sie können auch langfristig Schäden verursachen. Manche Krankheiten, die als Folge einer Aufnahme solcher Chemikalien entstehen, zeigen sich erst mit großer Verzögerung. In vielen Fällen ist die Exposition – also die Aufnahme des chemischen Stoffes in den Körper durch die Atemluft oder über die Haut – so lange her, dass sie als wahre Ursache einer aufgetretenen Erkrankung unbemerkt bleibt. Das gilt zum Beispiel für Krebserkrankungen, die oft erst mit einer Verzögerung (einer sogenannten Latenzzeit) von mehreren Jahren auftreten, aber auch für die Verminderung der Fortpflanzungsfähigkeit oder für Allergien.

Krebserkrankungen

Viele Untersuchungen gibt es über den Zusammenhang zwischen dem Umgang mit Pflanzenschutzmitteln und dem Auftreten von Krebserkrankungen. In Frankreich, dem Land mit der größten landwirtschaftlichen Fläche in der EU-28, wird zu diesem Thema besonders viel geforscht. Eine Zusammenstellung des Forschungsinstituts Inserm (Institut national de la santé et de la recherche médicale) aus 2013 trug alle wissenschaftlichen Studien zusammen, die es zu Gesundheitsschäden durch Pestizide gibt, und wertete sie gemeinsam aus. 

Diese Analysen zeigen unter anderem, dass bei mehreren Typen von Krebserkrankungen – etwa bei Non-Hodgkin-Lymphomen und bei Prostata-Krebs – signifikante Zusammenhänge mit der beruflichen Exposition gegenüber Pestiziden und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Erkrankung bestehen. 

Neben den Krebserkrankungen untersuchte Inserm aber auch Studien zu einer Vielzahl anderer Erkrankungen. So zeigt sich etwa, dass die Wahrscheinlichkeit, an Parkinson zu erkranken, durch die Exposition gegenüber Pestiziden steigt. Auch Entwicklungsschäden an Embryos treten häufiger auf, wenn die Mutter Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt war. Nachgewiesen ist etwa, dass Organophosphate zu Nervenschäden bei Embryos führen können.

Einige der Ergebnisse in der Inserm-Studie gehen auf Langfristprojekte zurück, bei denen eine große Gruppe von Landwirten über viele Jahre medizinisch überwacht wird (sogenannte Kohorten-Studien). Doch derartige Studien erfassen nicht alle in der Landwirtschaft tätigen Personen. Um einen besseren Schutz der Menschen, die mit Chemikalien umgehen, vor deren Gefahren zu gewährleisten, wäre es wünschenswert zu wissen, mit welchen Stoffen jemand im Lauf des bisherigen Arbeitslebens Kontakt hatte und in welchem Ausmaß die Person die betreffenden Chemikalien möglicherweise aufgenommen hat. Ansätze dazu gibt es in einigen Staaten bezüglich der Exposition gegenüber krebserzeugenden Arbeitsstoffen.

Doch schon bei relativ einheitlichen Industriearbeitsplätzen stünde die Idee, alle Beschäftigten über lange Jahre bezüglich ihrer Exposition gegenüber gefährlichen Stoffen zu überwachen, vor großen Schwierigkeiten. Erst recht gilt dies in der Landwirtschaft. Denn zum einen sind die chemischen Stoffe, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, besonders vielfältig. Zum anderen sind die Beschäftigungsverhältnisse in der Landwirtschaft sehr variabel: Neben den BetriebsinhaberInnen arbeiten Familienmitglieder – einschließlich der Kinder und der PensionistInnen –, und zwar in teils sehr unterschiedlichen Ausmaßen. Daneben kommen unselbständig Beschäftigte zum Einsatz, einige davon dauerhaft, eine große Zahl aber nur saisonal. Viele der saisonalen Arbeitskräfte arbeiten als ErntehelferInnen hintereinander in unterschiedlichen Betrieben.
Eine arbeitsrechtliche Besonderheit in Österreich stellt eine zusätzliche Hürde für ein einheitliches Programm der Aufklärung und Prävention bei den Beschäftigten in diesem Sektor dar: Die Gesetzgebung bezüglich des Arbeitsrechts und des ArbeitnehmerInnenschutzes der unselbständig Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft ist Ländersache, während sie für alle anderen Sektoren vom Bund einheitlich geregelt ist. 

Unterschiedlicher Schutz

Das bedeutet, dass es unter anderem neben dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) des Bundes noch neun Gesetze der Länder gibt, die vergleichbare Regeln für die ArbeitnehmerInnen in der Land- und Forstwirtschaft enthalten: die sogenannten Landarbeitsordnungen.

Den Großteil der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft in Österreich stellen freilich weiterhin die selbständig tätigen Bauern und Bäuerinnen und ihre Familienangehörigen: 2010 betrug ihr Anteil an der Gesamtzahl der Personen, die in der Land- und Forstwirtschaft tätig sind, etwa 85 Prozent. Die restlichen 15 Prozent sind unselbständig Beschäftigte.

Für diese zwei Gruppen sind unterschiedliche Sozialversicherungsträger zuständig: Während die selbständigen Landwirte in der Sozialversicherung der Bauern u.a. kranken- und unfallversichert sind, ist für die Krankenversicherung der Landarbeiter die jeweilige Gebietskrankenkasse zuständig, für deren Unfallversicherung die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA). Dementsprechend sind auch Präventionsprogramme der Unfallversicherungsträger unterschiedlich.

Wie der Name sagt, gelten die Bestimmungen zum ArbeitnehmerInnenschutz nur für ArbeitnehmerInnen – also nicht für Selbständige. Im Zusammenhang mit Chemikalien hat dies zur Folge, dass etwa Vorschriften über die Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten, über die Unterweisung der ArbeitnehmerInnen bis hin zu den Bestimmungen über persönliche Schutzausrüstung und über Beschäftigungsverbote nur für die 15 Prozent unselbständig Beschäftigten greifen.

Das heißt aber nicht, dass der verbleibende Teil – die 85 Prozent selbständig Tätigen – im gesetzesfreien Raum arbeiten. Auch sie haben etwa beim Umgang mit gefährlichen Stoffen Schutzmaßnahmen einzuhalten, vor allem diejenigen, die gemäß der REACH-Verordnung der EU im Sicherheitsdatenblatt angeführt sind. Für den Umgang mit Pflanzenschutzmitteln gelten wegen der verfassungsmäßigen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern neun verschiedene Landes-Pflanzenschutzmittelgesetze, die etwa allgemeine Verwendungsbestimmungen und Ausbildungserfordernisse regeln. Welche Pflanzenschutzmittel überhaupt auf den Markt kommen dürfen, ist mittlerweile durch eine EU-Verordnung geregelt, also durch einen Rechtsakt, der in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwenden ist. 

Die Belastungen für die Gesundheit in der Landwirtschaft sind sehr vielfältig. Die Exposition gegenüber Chemikalien ist nur ein Faktor neben mehreren, die Schäden und Krankheiten hervorrufen können. Je nach Tätigkeit und Sektor kommen etwa Infektionskrankheiten, Erkrankungen des Bewegungsapparats, Unfälle durch Geräte oder Gegenstände sowie durch Tiere dazu. Die in der Landwirtschaft tätigen Männer und Frauen sind die Berufsgruppe in Österreich, die ihren Gesundheitszustand subjektiv am schlechtesten einschätzt. Von allen Frauen leiden die in der Landwirtschaft tätigen am ehesten an chronischen Erkrankungen. Diese Ergebnisse der Statistik Austria sind ein Auftrag zur Verbesserung der Situation. Die Verbesserung der Kenntnisse und des Bewusstseins für die kurzfristigen und die langfristigen Gefahren der Stoffe kann beitragen, dass die Sorgfalt beim Umgang mit Chemikalien steigt und die Exposition verringert wird. Derartige Maßnahmen müssen bei den selbständigen Landwirten, aber auch bei den unselbständig, teilweise prekär Beschäftigten greifen.