Interview mit WU-Wien Professorin Verena Madner: Dritte Piste und Klimaschutz

Was ist – kurz gefasst – die Begründung der Entscheidung?

Madner: Das BVwG ist der Ansicht, dass die NÖ Landesregierung bei der Genehmigung der dritten Piste die Genehmigungskriterien des Luftfahrtgesetzes (LFG) nicht richtig angewendet hat, weil Klimaschutzeffekte in der Interessenabwägung nicht berücksichtigt wurden. Das BVwG kam bei seiner Prüfung zum Schluss, dass die Verkehrsinfrastruktur, die Flugsicherheit und Arbeitsmarkteffekte für die dritte Piste sprechen. Es stellte aber auch fest, dass der Klimawandel Folgen für die Gesundheit und die (Land-)Wirtschaft hat und die dritte Piste einen Anstieg der Treibhausgasemissionen (THG) bewirkt. Das Interesse, dass es in Österreich zu keinem weiteren Anstieg der THG-Emissionen kommt und die Klimaschutzverpflichtungen eingehalten werden, wog für das BVwG schwerer als die Interessen, die für die dritte Piste sprechen. Dass große Gewicht des Klimaschutzes, sieht das BVwG durch gesetzliche Klimaschutzbekenntnisse und Regierungsbeschlüsse belegt.

Sind Großprojekte jetzt nicht mehr genehmigungsfähig? 

Madner: Nein, diesen Schluss kann man nicht ziehen. Welche Rolle der Klimaschutz bei der Projektgenehmigung spielt, legt zunächst der Gesetzgeber fest. Verwaltung und Gerichte entscheiden in diesem Rahmen. Anders als im LFG gibt es für große Industrieanlagen in der GewO keine offene Interessenabwägung und in anderen Bereichen – z.B. bei Wasserkraftwerken – fördert das Ziel Klimaschutz die Projekte eher. Die Entscheidung, die das BVwG an Hand der konkreten Genehmigungskriterien vorgenommen hat, lässt sich daher nicht auf andere Projekte übertragen. 

Kritiker fragen, wie es sein kann, dass Richter zu so einer tiefgreifenden Interessensabwägung befugt sind. Wie sehen Sie das?

Madner: Zunächst: Die Lizenz zum Entscheiden haben die Richter vom Verfassungsgesetzgeber bekommen. Das BVwG ist das Ergebnis einer tiefgreifenden Reform des österreichischen Verwaltungssystems. Die Politik hat sich nach jahrzehntelangen Diskussionen darauf verständigt, Verwaltungsgerichte zu schaffen, die in der Sache selbst entscheiden dürfen und die, anders als der VwGH, Entscheidungen nicht nur kontrollieren und allenfalls zurück an die Behörden schicken können, sondern die selbst Entscheidungen reparieren und Interessen abwägen dürfen. Das führt unweigerlich zur Verlagerung von Entscheidungsspielräumen von der Verwaltung zu den Gerichten. Die Verfassung schützt zwar auch die Entscheidungsfreiheit der Behörden vor gerichtlicher Kontrolle. 

Das setzt aber voraus, dass die Behörden Ermessen im Sinne des Gesetzes ausgeübt haben. Wo genau hier bei Interessenabwägungen die Grenzen zwischen Verwaltung und Verwaltungs­gerichten verläuft, wird auch das Verfahren zur dritten Piste weiter klären. Fest steht: Bis dahin können Politik und Verwaltung ihre Gestaltungsmacht durch sorgfältige Ermittlungen bewahren. 

Der Fall dritte Piste zeigt auch: Infrastrukturprojekte und Klimaschutz brauchen klare gesetzliche Vorgaben. Für Verkehrsinfrastrukturprojekte sollte eine verbindliche Verkehrsplanung mit Öffentlichkeitsbeteiligung diese grundsätzlichen Entscheidungen vorzeichnen. Diese Gestaltungsaufgabe kann nicht an Einzelverfahren delegiert werden.