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Naturschutz

Natura 2000 – im Schneckentempo

Mit einer Gesamtfläche von über einer Million km2 ist das europaweite Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000 ein überaus wichtiges und effizientes Naturschutzinstrument. Auf insgesamt über 26.000 geschützten Flächen soll sowohl die Vielfalt an Lebensräumen als auch jene wildlebender Tier- und Pflanzenarten nachhaltig erhalten werden. Durch zielgerichtete Managementmaßnahmen kann Natura 2000 maßgeblich zur Eindämmung des Verlusts der biologischen Vielfalt in unserem Land und über die Landesgrenzen hinaus beitragen. Grundlage dafür sind zwei EU-Richtlinien: die Fauna-Flora-Habitat-(FFH-)Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie. Mit dem Beitritt zur EU im Jahr 1995 hat sich Österreich verpflichtet, diese Naturschutzrichtlinien in seinem Bundesgebiet umzusetzen. Aktuell liegt das österreichische Natura 2000-Netzwerk mit rund 220 Gebieten und knapp 15 Prozent der Staatsfläche unter dem europäischen Durschnitt von ca. 17 Prozent. Das ist nicht nur Naturschutzorganisationen wie dem Umweltdachverband zu wenig, auch die EU-Kommission forderte bereits 2012 die Republik Österreich offiziell dazu auf, weitere Gebiete ins Natura 2000-Netzwerk zu integrieren. Passiert ist jedoch lange Zeit nichts. Die Folge: Im Mai 2013 leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik ein. Mitte Jänner 2014 formulierte sie erneut klare Forderungen in Sachen Nachmeldung von Natura 2000-Gebieten. 

Bereits im Jahr 2012 hatte der Umweltdachverband in Zusammenarbeit mit mehr als hundert ExpertInnen eine Schattenliste erarbeitet, die neue potenzielle Natura 2000-Gebiete, welche schützenswerte Arten und Lebensräume beherbergen, vorschlug: Bergmähwiesen, Kalktuffquellen, Hartholzauwälder, Juchtenkäfer, Große Hufeisennase und Grünes Koboldmoos sind nur einige der insgesamt 26 Arten und Lebensraumtypen, die in den vorgeschlagenen Gebieten geschützt werden sollten. 

Gebiete verdoppeln

Auf Basis dieser Liste sah auch die EU-Kommission noch einmal genauer hin und erweiterte die ursprüngliche Schattenliste, um schließlich die Nachmeldung von weiteren rund 220 neuen Gebieten bzw. Gebietserweiterungen zu fordern – darunter Naturkleinode wie der Piz Val Gronda oder die Isel in Tirol, das Warscheneck in Oberösterreich oder die Sattnitz in Kärnten. Da in Österreich die Zuständigkeit und Obsorge für Naturschutz und Natura 2000 den Bundesländern obliegt, ist es nun an ihnen, weitere Gebiete an die EU zu melden, um die europäischen Naturschutzverpflichtungen zu erfüllen. Die Deadline für die ersten Meldungen: September 2014.

Ein kürzlich veröffentlichter Bericht über den aktuellen Zustand der heimischen Natur verdeutlicht den akuten Handlungsbedarf: Knapp 80 Prozent Österreichs Arten und Lebensraumtypen von europäischer Bedeutung befinden sich in einem ungünstigen Erhaltungszustand. Betroffen sind insbesondere Gras- und Grünland, Moore und Süßwasserlebensräume. Vor allem die Intensivierung der Landwirtschaft, die zunehmende Landschaftsfragmentierung und die Verbauung und Regulierung der Fließgewässer sind die häufigsten Ursachen dafür. Der fortschreitende Lebensraumverlust setzt u. a. vielen Käfer-, Fisch-, Krebs- und Reptilienarten zu: Nur 16 Prozent aller Arten von europäischem Interesse befinden sich aktuell in einem günstigen Erhaltungszustand.

Ursache für die unhaltbaren Zustände rund um Natura 2000 ist das oft kritisierte Faktum, dass es in Österreichs Naturschutzpolitik keine zentrale Koordination und bundesweite Vorgehensweise gibt. Als reine Landessache hinkt der Naturschutz im europäischen Vergleich, auch über 20 Jahre nach der Verabschiedung der FFH-Richtlinie 1992, hinten nach. Die Bundesländer verfolgten bislang unterschiedliche Strategien in der Ausweisung von Natura 2000-Gebieten: Während sich manche an schutzwürdigen Habitaten und Arten nach den Anhängen der FFH-Richtlinie orientierten, nahmen andere lediglich bereits anderweitig geschützte Gebiete auf. Die wenigsten jedoch haben bis dato wirklich Zeit und Geld für eine umfassende Erhebung schützenswerter Arten bzw. Flächen investiert. Kein Wunder also, dass das Schutzgebietsnetzwerk lückenhaft ist. Mehr Unterstützung seitens der politisch Zuständigen und – allem voran – ein Bundesrahmennaturschutzgesetz, das die Aktivitäten der Länder koordiniert und für Einheitlichkeit in der Umsetzung der Natura 2000-Richtlinien sorgt, könnte dem heimischen Naturschutz und somit dem gesamteuropäischen Arten- und Lebensraumschutz durchaus förderlich sein.

Mehr Mittel für Natura 2000

Der Erfolg der Maßnahmen, die im Zuge von Natura 2000 zur Eindämmung des Verlusts biologischer Vielfalt getroffen werden, misst sich maßgeblich an den dafür eingesetzten Mitteln. Um die sachgerechte Umsetzung von Natura 2000 in den nächsten Jahren zu gewährleisten, ist neben der Sicherstellung einer angemessenen Finanzierung eine konstruktive Zusammenarbeit der verschiedenen im Naturschutz tätigen Institutionen und Organisationen – inklusive der Schaffung einer zentralen Natura 2000-Plattform – genauso wichtig wie die rechtliche Verankerung des Natura 2000-Netzwerks in Form von Verordnungen, die Umsetzung einer wirksamen Gebietsbetreuung und die Verstärkung der Sensibilisierung und Einbindung von Interessenträgern. 

Natur ohne Käseglocke

Managementmaßnahmen in bestehenden Natura 2000-Gebieten sowie die Ernennung weiterer Schutzgebiete sorgen oftmals für Kontroversen zwischen der Land- und Forstwirtschaft, dem Naturschutz, der Wirtschaft, der Politik und anderen Interessengruppen. Dabei ist Natura 2000 kein ◊Käseglocken“-Naturschutz, sondern ein modernes Naturschutzinstrument, das auf die Erhaltung bestimmter Schutzgüter abzielt. Damit sind menschliche Eingriffe in Gebieten weiterhin erlaubt, sofern diese den Erhaltungszustand des jeweiligen Schutzguts nicht erheblich beeinträchtigen. Natura 2000 hat damit großes Potenzial, das Miteinander von Mensch und Natur zu stärken. Um die Kommunikation und Partizipation in Schutzgebieten zwischen verschiedenen von Natura 2000 Betroffenen bzw. daran Beteiligten zu stärken, geht der Umweltdachverband mit der Initiative ◊Komm-Natura“ mit positivem Beispiel voran (siehe Kasten).

Wirtschaftsfaktor Natura 2000

Die EU-konforme Umsetzung des Natura 2000-Netzwerks und somit der Erhalt schützenswerter Arten und Lebensräume bringt selbstverständlich viel Investitionsbedarf mit sich. Natura 2000 ist aber wesentlich mehr als ein europäisches Netzwerk an Schutzgebieten – komplettiert, erfolgreich umgesetzt und entsprechend gemanagt, können Schutzgebiete auch bedeutende Quellen der Wertschöpfung sein. Europaweit entspricht die Leistung von Natura 2000 ca. zwei bis drei Prozent des EU-Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Wertschöpfung aus Kohlenstoffbindung, Wasserversorgung und -reinigung, dem Schutz vor Naturkatastrophen, aus Tourismus und Freizeitaktivitäten, die ihren Ursprung in Natura 2000-Gebieten finden, ist dabei von enormer Bedeutung. Nicht zuletzt aus diesen ökonomischen Überlegungen heraus muss die Politik endlich den Mut aufbringen, in Form von Kommunikations-, Management- und/oder Monitoring-Maßnahmen in Natura 2000-Gebiete zu investieren. Die Scheu vor Natura 2000 ist unangebracht. Denn eines steht fest: Die Natur wird es zurückgeben! Nutzen wir daher dieses Schutzinstrument in all seinen Facetten!