Editorial: Was ist für wen normal?

Die Corona-Pandemie hat alle Winkel der Welt erreicht und die Menschen scheinbar gleicher gemacht. Hinter Mund-Nasen-Masken sehen irgendwie alle ähnlich aus. Aber die Folgen einer Erkrankung daran sind keinesfalls für alle Menschen gleich und ungleich verteilt. In Staaten, die einen Lockdown für einen Großteil ihrer Bürger*innen und Unternehmen finanziell abfedern können, in denen es ein gut funktionierendes öffentliches Gesundheits- und Sozialsystem gibt, sind die Folgen eher bewältigbar und weniger letal.

Aber die Menschen in Ländern wie dem Iran, Indien, Brasilien oder den USA und Russland leiden schlimmer darunter, weil staatliche Hilfen und/oder funktionierende Gesundheits- und Sozialsysteme nicht vorhanden sind. Auch europäische Länder wie Italien oder Spanien, die durch Spardiktate gezwungen waren, ihre Daseinsvorsorge vor allem im Gesundheitsbereich auszuhungern, zahlen einen hohen Preis. Krankheit und Krise treffen überall die Armen besonders hart. Wenn man die globale Arbeitsteilung und Ausbeutung, die weltweit forcierte Liberalisierung und Privatisierung betrachtet, ist das ja durchaus normal. Zumindest für jene, die davon profitieren.

Rekordarbeitslosigkeit und drastische Einkommensverluste lassen Armut und Armutsgefährdung auch in Österreich bedrohlich ansteigen. Daher muss nach der Krise massiv gegengesteuert werden, durch Investitionen in den Klimaschutz, in den Ausbau des Sozialstaats und in öffentliche Infrastrukturen und Dienstleistungen, die sich in der Krise als stabilisierend gezeigt haben. Der Begriff der „neuen Normalität“ wurde in den letzten Monaten meist als Drohszenario überstrapaziert. Nach der Krise geht es darum zu verhindern, dass der Anstieg von Armut und Arbeitslosigkeit, das Sinken der Einkommen und ein „Anordnungsstaat“ als normal betrachtet werden. Die alte Normalität, in der Reiche und globale Konzerne kaum Steuern zahlen, in der sich niemand weltweit um faire Arbeitsbedingungen und Einkommen kümmert, sollte mit dem Virus möglichst bald der Vergangenheit angehören.