Schwerpunkt

Energiekrise

Die Energiewende – ein nachhaltiges Investment?

Die großen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen im 21. Jahrhundert verlangen nach politischer Gestaltung. Das gilt nicht zuletzt für die Klimakrise, deren Auswirkungen schon heute die Bedingungen für das menschliche Leben verändern, auch in Europa. Österreich ist davon besonders betroffen: Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ist die Temperatur hierzulande etwa doppelt so stark gestiegen (knapp +2°C) wie im globalen Durchschnitt. Als Konsequenz nehmen nicht nur Hitzetage und Tropennächte zu, auch Extremwetterereignisse wie Starkregen, Trockenheit und Stürme verursachen beträchtliche Schäden. Die verlängerte Pollenflugsaison führt zu einer Zunahme von Atemwegserkrankungen und manche Regionen sind bereits mit Wasserknappheit konfrontiert.

Mit dem Übereinkommen von Paris hat man sich daher international dazu verpflichtet, den globalen Temperaturanstieg im Durchschnitt deutlich unter +2°C zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, um ihn auf +1,5° C zu begrenzen. Dazu ist es erforderlich, dass schon in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts Klimaneutralität erreicht wird, dass also ein Gleichgewicht zwischen der Emission von Treibhausgasen und ihrer Bindung besteht. 

Die Europäische Union möchte bereits 2050 klimaneutral sein, bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen der EU um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Wert von 1990 sinken. Das sind die übergeordneten Ziele des europäischen Grünen Deals, der dafür sorgen soll, dass diese durch ein ausgewogenes Zusammenwirken einer Vielzahl an Strategien und Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen – von Mobilität bis Indus­trie – auch erreicht werden. 

Herausforderungen der Energiewende

Im Kern geht es um eine komplette Umstellung des Energiesystems, bis 2050 muss de facto ein Ausstieg aus den fossilen Energieträgern gelingen. Dass dieser für die Europäische Union auch politisch und ökonomisch sinnvoll ist, zeigt aktuell die tragische Zuspitzung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine. Der Ausstieg aus fossiler Energie stellt aber nicht nur eine naturwissenschaftlich-technische Herausforderung dar. Zu klären ist auch, wie die notwendigen Investitionen in die Dekarbonisierung von Mobilität, Stromerzeugung und Raumwärmeversorgung – ebenso wie in die Umstellung industrieller Produktionsprozesse – sichergestellt werden können. Dass der Bedarf erheblich ist, zeigt eine Vielzahl an Kostenschätzungen. Die Europäische Kommission geht derzeit von zusätzlichen Investitionen in Höhe von jährlich rund 350 Milliarden Euro bis 2030 aus. Zur Erreichung weiterer Umweltziele kommen noch einmal rund 130 Milliarden Euro p.a. hinzu. Zusammen entspricht das rund dem Dreifachen des regulären jährlichen EU-Haushalts.

Hier setzen die Maßnahmen der Europäischen Kommission zur Förderung eines nachhaltigen Finanzwesens an. Sie sollen dazu beitragen, dass Investitionen in den Übergang in eine klimaneutrale, klimaresiliente, ressourceneffiziente und faire Wirtschaft gelenkt werden – und aktuell auch die nachhaltige Erholung der krisengebeutelten europäischen Wirtschaft unterstützen. Zur Einfassung des energie- und klimapolitischen Kerns des europäischen Grünen Deals spielt dieser Bereich eine nicht zu unterschätzende Rolle, zielt er doch darauf ab, die Informationsbasis im Unternehmenssektor zu verbessern, Transparenz auf den Finanzmärkten zu fördern und damit rationale Entscheidungen der Finanzmarktakteure zu erleichtern. Eine entscheidende Frage ist jedoch, anhand welcher Kriterien die Nachhaltigkeit von wirtschaftlichen Aktivitäten beurteilt wird. 

Nachhaltigkeit im Finanzwesen

Die Vermarktung nachhaltiger Finanzprodukte ist keine Neuigkeit, auch an der Wiener Börse gibt es bereits seit Mitte der 2000er Jahr einen eigenen Nachhaltigkeitsindex. Die Nachfrage nach derartigen Geldanlagen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Allerdings war bisher nicht eindeutig geregelt, wie der Nachhaltigkeitsgedanke in die Finanzwelt zu übersetzen ist. Schon vor einigen Jahren hat die AK in einer Studie genauer unter die Lupe genommen, wie Nachhaltigkeitsaspekte im Bereich unterschiedlicher Anlageformen definiert werden. Dabei zeigte sich, dass die Kategorien ökologisch, sozial und ethisch durchaus unscharf sind, selbst Ausschlusskriterien wie Kinderarbeit, Rüstung und Glücksspiel werden nicht einheitlich interpretiert. Und wird der sogenannten Best-in-Class-Ansatzes als Anlagestrategie gewählt, bestehen überhaupt keine Einschränkungen, umfasst sind dann schlicht „die Nachhaltigsten“ einer Branche. 

Um diesem Markt mehr Struktur zu geben, legte die Europäische Kommission im März 2018 ihren sogenannten Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums vor. Mit dem Aktionsplan sollten Kapitalflüsse in eine nachhaltigere Wirtschaft umgelenkt, Nachhaltigkeitsaspekte im Risikomanagement verankert, sowie Transparenz und Langfristigkeit gefördert werden. Ins­gesamt wurden zehn Maßnahmen festgelegt, von Normen und Kennzeichen für umweltfreundliche Finanzprodukte über die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit in der Finanzberatung bis zur Förderung einer nachhaltigen Unternehmensführung. An prominenter Stelle der legislativen Maßnahmen stand die Einführung eines EU-Klassifikationssystems für nachhaltige Tätigkeiten. 

Taxonomie für ökologische Nachhaltigkeit

Zu dieser Taxonomie wurde Mitte 2020 eine Einigung zwischen Kommission, Rat und Parlament erzielt, knapp darauf trat die Verordnung in Kraft. Demnach müssen Wirtschaftstätigkeiten bzw. Investitionen, die die Kriterien ökologischer Nachhaltigkeit erfüllen, einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung von zumindest einem der folgenden sechs Umweltziele leisten: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Übergang zur Kreislaufwirtschaft, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung sowie Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme. Gleichzeitig darf die Wirtschaftstätigkeit kein anderes der genannten Umweltziele erheblich beeinträchtigen. International gültige soziale und arbeitsrechtliche Mindeststandards müssen eingehalten werden.

Mit der Verordnung wurde die Kommission auch damit beauftragt, in delegierten Rechtsakten detaillierte technische Beurteilungskriterien festzulegen. Den Start machte die Klimataxonomie. Gemeinsam mit dem delegierten Rechtsakt zu Klimaschutz und Anpassung hat die Kommission im April 2021 einige Änderungen der Rechtsakte zu treuhänderischen Pflichten und Anlage- und Versicherungsberatung, sowie  einen Richtlinienvorschlag zur Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen angenommen. 

Letzterer hat besonders weitreichende Auswirkungen: Damit werden die Bestimmungen der Richtlinie über nichtfinanzielle Berichterstattung überarbeitet, mit dem Ziel, Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen sukzessive den gleichen Stellenwert zu geben wie der Finanzberichterstattung. Einheitliche Standards sollen gewährleisten, dass die erforderlichen Informationen für die Finanzbranche auch tatsächlich verfügbar sind. Der Kreis der umfassten Unternehmen, die zukünftig detailliert über Nachhaltigkeitsaspekte ihrer Geschäftstätigkeit berichten müssen, soll von aktuell rund 11.000 auf knapp 50.000 innerhalb der EU ansteigen. 

Aktuelle Entwicklungen und Fazit

Ein Update des Aktionsplans aus dem Jahr 2018 erfolgte mit der Strategie zur Finanzierung einer nachhaltigen Wirtschaft, die im Juli 2021 gemeinsam mit dem Vorschlag für einen EU-Standard für grüne Anleihen vorgelegt wurde. Vor dem Hintergrund der Ziele des europäischen Grünen Deals thematisiert sie unter anderem die Notwendigkeit der Finanzierung von Zwischenschritten, den Marktzugang von Haushalten und kleinen Unternehmen, einen Bericht zur Sozialtaxonomie, die Widerstandsfähigkeit gegenüber Nachhaltigkeitsrisiken und die Förderung globaler Ambitionen für ein nachhaltiges Finanzwesen. Die Aufnahme von Kernenergie und Erdgas als Übergangstechnologien erregte zwischenzeitlich viel Aufmerksamkeit und Protest (siehe Kasten rechts). Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) fordert außerdem mehr Ambition im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit. Er wird sich daher mit einer Initiativstellungnahme in die Diskussion zur sozialen Taxonomie einbringen.

Angesichts des vorrangigen EU-Ziels, dem Pariser Klimaabkommen von 2015 Taten folgen zu lassen, ist die aktuelle Schwerpunktsetzung der Kommission nachvollziehbar. Das Nachhaltigkeitsverständnis der ebenfalls 2015 verabschiedeten UN-Agenda 2030 darf dabei aber nicht aus den Augen geraten. Zwar werden die detaillierten Kriterien zur Beurteilung der sonstigen Umweltziele bald vorgelegt. Um die im europäischen Grünen Deal geforderte Just Transition mit Leben zu füllen, sind aber auch die Interessen der Arbeitnehmer:innen zu berücksichtigen. Das gilt natürlich nicht nur für die Regulierung des Finanzwesens, sondern insgesamt bei der politischen Gestaltung der Transformation. Denn auch wenn das Bestreben, die Finanzmärkte nachhaltiger zu gestalten, einen wesentlichen Beitrag leisten kann: Ohne einen handlungsfähigen öffentlichen Sektor wird die Transformation nicht gelingen.