Schwerpunkt

Luftreinhaltung

Braucht Europa eine Frischluftkur?

Luftverschmutzung ist leider kein Schreckgespenst der Vergangenheit. Global gesehen wird sie laut OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) bis 2050 sogar zunehmen, sofern nicht dramatische Schritte dagegen eingeleitet werden. Die Zahl vorzeitiger Todesfälle durch Feinstaub wird sich weltweit mit jährlich 3,7 Millionen verdoppeln. Besonders die wirtschaftlich und demographisch stark wachsenden Metropolen Süd- und Ostasiens bilden die traurige Spitze.  Mit 90 Todesfällen pro Einwohnermillion wird aber auch Europa dank seiner älter werdenden Bevölkerung bei bodennahem Ozon noch vor Schwellenländern im absoluten Spitzenfeld der Weltregionen liegen.

Im Hinblick auf den umweltpolitischen EU-Schwerpunkt 2013 hat die EU-Umweltagentur im September 2012 eine Bestandsaufnahme vorgelegt.  Darin wird ein genereller Rückgang von Luftschadstoffemissionen bescheinigt. Enorme Fortschritte wurden seit 1990 bei Schwefeldioxid (SO2), Kohlenmonoxid (CO) sowie Konzentrationen von Schwermetallen (Arsen, Cadmium, Nickel, Blei) in der Außenluft erzielt. Dem eher rückläufigen Emissionsausstoß stehen aber weiterhin hartnäckig hohe Konzentrationen mit schädlichen Auswirkungen auf menschliche Gesundheit und Ökosysteme gegenüber. Fest steht: Der Rückgang von Luftschadstoffemissionen geht nicht automatisch mit einer linearen Abnahme von schädlichen Konzentrationen vor allem bei Feinstaub und Ozon einher. Komplexe Abläufe bei der Bildung von Konzentrationen in der Atmosphäre müssen wissenschaftlich noch besser erforscht werden. Aufklärungsbedürftig ist auch die Verfrachtung von Schadstoffen am europäischen Kontinent und zwischen den Kontinenten.  

Warum haben die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre  Ziele nicht erreicht, obwohl gesunde Luft sprichwörtlich jeder zum Atmen braucht? Die banale Antwort ist, dass fast alle menschlichen Aktivitäten nennenswerte Luftverunreinigungen verursachen. Aber keine politische Ebene hat eine zentrale Stelle, die gesunder Luft ausreichend Geltung verschaffen kann. Die Vielfalt emissionsrelevanter Quellen, die Emissionsverfrachtungen über Tausende von Kilometern hinweg und chemische Umwandlungsprozesse verunmöglichen zudem klare Schuldzuweisungen („Verursacherprinzip“) der politischen Öffentlichkeit für einen Sektor (vor allem Verkehr, Industrie, Gewerbe, Landwirtschaft, Hausbrand und Energiegewinnung). Damit schwindet leider die Bereitschaft, Verantwortung für  Kosten der Emissionsminderungsmaßnahmen zu übernehmen. Zwar ist Bewusstsein jedes Einzelnen für Gesundheit (z. B. Fitnessstudio, Ernährung) durchaus vorhanden, die kollektive Zahlungsbereitschaft dagegen ist enden wollend. Umweltbesorgte müssen sogar mögliche EU-Sanktionen wegen Missachtung der Luftreinhaltung bemühen, weil die Botschaft von der Gesundheitsschädigung jedes Einzelnen beim Wahlvolk einfach nicht ankommen will. Die wirtschaftliche Krisenstimmung tut ihr Übriges.

Auf EU-Ebene steuert die zuständige Generaldirektion Umwelt die Luftreinhaltung mit zwei Regelungsansätzen. Erstens über Grenz- und Zielwerte für den Immissionsschutz aufgrund der Rahmenrichtlinie Luftqualität (RL 2008/50/EG), zweitens über Emissionshöchstmengen für die Mitgliedstaaten bei den Stickstoffoxiden (NOx) , Ammoniak (NH3), Schwefeldioxid (SO2) und flüchtige organische Verbindungen ohne Methan (NMVOC) aufgrund der sogenannten „NEC-Richtlinie“ (National Emission Ceilings). Doch bei Abgasvorschriften in den einzelnen Sektoren, z.B. Grenzwerte für KFZ und Industrie, wird sie von den EU-Generaldirektionen für Industrie, Verkehr, Energie und Landwirtschaft regelmäßig konterkariert. Obwohl ein Verfehlen der Ziele lange schon absehbar war, wurde der EU-Umweltkommissar im Gefolge der Weltwirtschaftskrise von seinen Amtskollegen an der rechtzeitigen Revision gehindert.

Bizarre Resultate

Bei Luft macht es wenig Sinn, ob es eine „Bundes-Luft“ oder „Länder-Luft“ gibt. Trotzdem halten Politik und Verwaltung in Österreich eisern an dieser Fiktion fest und verkrampfen sich dabei ständig. Rechtlich gesehen sind die Landeshauptleute für die Einhaltung der EU-Immissionsvorschriften („IG-L“) zuständig und haben mit Raum- und Bauordnungen, Heizung und Hausbrand sowie dem allgemeinen „Förder-Föderalismus“ auch materiell Handlungsspielräume zur Hand. Demgegenüber steht der Bund mit der Steuerpolitik (z.B. KFZ, Treibstoffe, Pendlerpauschale), dem Gewerbe- und Anlagenrecht sowie der allgemeinen Verkehrspolitik. Diese Governance-Struktur zeitigt auch  bizarre Resultate.  Österreich weist bei  Feinstaub (PM10) und Stickstoffdioxid (NO2) strengere Grenzwerte als die EU-Vorgaben auf. Ihre Nicht-Einhaltung spielt aber rechtlich und politisch seit Jahren keine große Rolle, solange die EU-Kommission sich nicht um die Einhaltung ihrer weniger strengen Vorschriften kümmert. Sollte aber eines Tages Österreich wegen Nicht-Einhaltung von EU-Grenzwerten vom EuGH verurteilt werden, ist keineswegs ausgemacht, dass die zuständigen Bundesländer die Verantwortung für mögliche EU-Strafzahlungen übernehmen. In diesem Fall würde eine EuGH-Forderung an das österreichische Finanzministerium übermittelt, dass seinerseits mit den Bundesländern darüber verhandeln müsste.  

Herausforderung

Die verkannte Herausforderung in Österreich ist im Grunde die EU-Zielvorgabe für NOx-Emissionen. Diese fallen bei Verbrennungsprozessen an und stammen in Österreich zu 60 Prozent aus dem Verkehr. Ungleich Feinstaub sind diese „hausgemacht“ und auch nicht aus dem Ausland importiert. Aufgrund der NEC-Richtlinie der EU dürfte Österreich im Jahr 2010 nur 103.000 Tonnen ausstoßen, hat diese aber mit 144.000 Tonnen um 40 Prozent verfehlt – so stark wie kein anderes EU-Mitgliedsland. Probleme bei der Zieleinhaltung potenzieren sich im „Dieselland Österreich“, vor allem durch Diesel-KFZ. Eine effektive Verminderung bei diesen Motoren (z.B. Katalysator) für PKW sieht das EU-Recht erst 2014 bei der Typisierung vor. Bei modernen LKW (Euro 4  und Euro 5) mit Typisierung ab 2008 stellte sich bei ihrem tatsächlichem Emissionsverhalten leider heraus, dass diese in bestimmten Situationen schlechter als ältere LKW sind. Weiters gilt zwar der hehre Grundsatz, dass Klimaschutz und Luftreinhaltung sich gegenseitig ergänzen müssen, doch durch Ausbau von Biomasse fallen zusätzliche NOx-Emissionen an. Nehmen die Dinge ihren bisherigen Lauf, so emittiert Österreich laut Berechnungen des Umweltbundesamtes (UBA) im Jahr 2020 mit 108.000 Tonnen mehr als das für 2010 vorgegebene EU-Ziel.  Da der Emissionstrend nur langfristig steuerbar ist und auch vom zuständigen Minister Berlakovich und seinem Vorgänger keine nennenswerten Initiativen gesetzt wurden bzw. zu erwarten sind, riskiert Österreich sehenden Auges eine Verurteilung durch den EuGH mit jährlichen Strafzahlungen in Millionenhöhe. Kyoto lässt also noch einmal bei der Luftreinhaltung grüßen.

Immissionsschutz

Beim Immissionsschutz gibt es in den meisten Bundesländern zwei Problembereiche. Bei verkehrsnahen Standorten werden regelmäßig die Grenzwerte von NO2 vor allem durch den hohen Diesel-Anteil in der KFZ-Flotte überschritten. Die in der EU-Rahmenrichtlinie vorgesehene Möglichkeit, die Einhaltung des NO2-Grenzwertes bis 2015 zu erstrecken, wurde heuer im Sommer von der EU-Kommission bei fast allen Bundesländern abgelehnt, da das Niveau der geplanten Maßnahmen eine Einhaltung des Grenzwertes auch 2015 nicht wahrscheinlich erscheinen lässt.  Maßnahmen zur Einhaltung des Grenzwertes bei Feinstaub (PM10) in den österreichischen „IG-L-Zonen“ haben zwar die lokale Grundbelastung in den letzten Jahren reduziert. Durch ungünstige Wetterlagen wie 2011 wird in Wien und der Steiermark die Zahl der zulässigen 35 EU-Tagesgrenzwertüberschreitungen fast um das Doppelte überschritten. Bei einer Überprüfung der zulässigen Immissionsgrenzwerte durch die EU-Kommission hätten die österreichischen Bundesländer enormen Argumentationsnotstand.

Das 6. Umweltaktionsprogramm der EU beinhaltet als Gesamtziel das „Erreichen einer Luftqualität, von der keine inakzeptablen Auswirkungen bzw. Gefahren für Mensch und Umwelt ausgehen. Davon sind Europa und die Ballungszonen noch weit entfernt. Für dieses Ziel muss die EU-Kommission vorab für sich klären, ob sie die Einhaltung bestehender Vorschriften einfordern oder klammheimlich verwässern lässt. Dazu muss das „EU-Legislativpaket Luft“  wirklich Fortschritte bringen. Im Gespräch sind hier vor allem ein neues Emissionshöchstmengenziel bei PM2,5 bzw. eine Verschärfung bei Ammoniak gegen die grenzüberschreitende Luftverschmutzung und sektorale Emissionsvorschriften bei den „üblichen Verdächtigen“, besonders Off-Road, maritime Schifffahrt, Landwirtschaft oder Kleinfeuerungsanlagen. Denn ohne einschneidende EU-Vorgaben würde aus dem Jahr der Luft dann doch wieder nur ein „Lüfterl“.