Schwerpunkt

Automatisierung

Automatisiert in die Mobilitätswende?

Prozesse der Digitalisierung haben auch im Verkehr längst Einzug gehalten. Ob Fahrplanauskunft am Handy, dynamische Fahrgastinformationen in U-Bahnen und Zügen, Einpark-, Spur- und Stauassistenten beim Pkw und digitales -Flotten Management: in all diesen Bereichen spielen Digitalisierung und Automatisierung eine immer größere Rolle. Der Verkehr auf Schiene und Straße ist von entsprechenden Veränderungen betroffen und dabei sowohl der Güter- als auch der Personenverkehr. Sicherlich den größten Hype erlebt derzeit die Automatisierung beim Pkw. Aber auch beim Lkw werden Automatisierungsschritte medienwirksam inszeniert, wie Anfang 2016 bei der „European Truck Platooning Challenge“. Dabei fuhren Lkw von verschiedenen Herstellerzentralen in vernetzten Kolonnen (dem sogenannten Platooning) quer durch Europa. Noch Mitte der 90-er Jahre machte sich die verkehrswissenschaftliche Fachwelt über die Versuche der Autoindustrie lustig, Assistenzsysteme in Form von Navigationshilfen im Fahrzeug anzubieten. Von technisch nicht machbar – weil u.a. die Rechnerkapazität zu gering sei – bis unnötig – weil LenkerInnen wohl wissen, wohin sie fahren – reichte die Kritik. Heute ist in einem modernen Pkw Software verpackt, die etwa 25 bis 250 Mal mehr Programmierzeilen umfasst als in einem Space Shuttle. Die Unterstützungs- und Sicherheitssysteme werden ausgefeilter und übernehmen immer mehr Aufgaben. Obwohl technisch einfacher zu bewältigen, werden Automatisierungstendenzen im Eisenbahnbereich viel verhaltener gemeldet. Dies hat wohl auch mit den Treibern der automatisierten individuellen Mobilität zu tun, nämlich den global agierenden IT- und Automobilkonzernen, die im Wettbewerb um Markteintritt und -beherrschung stehen. Der Weg in die vollkommene Automatisierung ist für die IT-Industrie der logische Schluss der bisherigen Automatisierungsstufen, die Autoindustrie sieht das eher zwiespältig, immerhin lässt sich Fahrspaß und Automatisierung nur schwer miteinander verbinden. Dabei ist Google mit seinem selbstfahrenden Auto vorgeprescht. Dem IT-Konzern geht es nicht so sehr darum, mit Mobilitätsdienstleistungen Geld zu verdienen, vielmehr fußt das Interesse darauf, dass NutzerInnen im automatisierten Fahrzeug verschiedene Angebote konsumieren können. Statt das Fahrzeug zu steuern, können etwa Filme angesehen oder Einkäufe online getätigt werden. Ganz nebenbei fallen dabei auch eine Fülle an Daten an, die sich wiederum gewinnbringend vermarkten lassen. Google sieht sein Hauptpotenzial vor allem dort, wo viele Menschen unterwegs sind – also im städtischen Bereich. Damit wird sehr rasch klar, dass Verkehrspolitik, die die Nachhaltigkeit und Lebensqualität im Blickfeld halt, sowohl in Ballungsräumen als auch in dünn besiedelten Gebieten ganz andere Ansprüche an ein automatisiertes Verkehrssystem stellt als die Fahrzeughersteller.

Verkehrspolitische 
Herausforderungen 

Die im Auto zurückgelegten Tagesdistanzen haben in den vergangenen 20 Jahren um fast 40 Prozent zugenommen. Allerdings ist der Traum von der unbegrenzten individuellen motorisierten Mobilität mittlerweile einer gewissen Ernüchterung gewichen. Immerhin zählt der Verkehrssektor zu den großen Sorgenkindern bei der Reduktion von Treibhausgasen und in den Städten fehlt der Platz, um noch mehr Autos durchzuschleusen, ganz zu schweigen von den negativen Folgen für Gesundheit und Lebensqualität. 

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass sich die Problemstellungen im Verkehrsbereich im Grunde wiederholen. Ende des 19. Jahrhunderts standen die Städte vor enormen Herausforderungen u.a. in Folge ihres massiven Bevölkerungswachstums. Damals waren Pferdewagen das vorwiegende Transportmittel im Güterverkehr und sie bewältigten auch Teile des Personenverkehrs. Der steigende Wohlstand hatte dazu geführt, dass die Zahl der Pferde in den USA weitaus stärker gestiegen war als die Zahl der EinwohnerInnen. Zu dieser Zeit wurden die Folgen dieser Mobilitätsart immer unerträglicher: Neben dem Problem, dass die Pferde enorme Mengen an Futter brauchten, machten auch Pferdekot und Lärm sowie Unfälle und Staus die Situation in den Städten immer prekärer. Auch in Wien wird vom Problem des Mistgestanks berichtet, gab es um 1900 immerhin 40.000 Pferde, die täglich etwa 200.000 Liter Harn und über 400 Tonnen Pferdemist produzierten. Man war also auf der Suche nach Innovationen: Die Elektrifizierung des Stadtverkehrs und mehr Radverkehr waren eingeschlagene Pfade als nun auch Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren auf der Bildfläche erschienen. Die höheren Geschwindigkeiten des Automobils ließen mehr Effizienz bei der Nutzung der vorhandenen Infrastrukturen erwarten. Es wird berichtet, dass Besitz und Betrieb der Fahrzeuge schon bald mit geringeren Kosten verbunden war als bei Pferdefuhrwerken und schon um 1912 gab es etwa in New York mehr Autos als Pferdefuhrwerke. Für Wien ist festgehalten, dass die Überganszeit alles andere als einfach war – Pferde scheuten und beide Systeme passten nicht zusammen. Vor dem Hintergrund der massiven Probleme mit dem Pferdemist in den Städten ist es nicht verwunderlich, dass Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor als Retter der Umwelt gesehen wurden.

Nicht nur technische Fragen sind ungeklärt

Heute stehen wir im Grunde vor ähnlichen Problemen mit überraschend ähnlichen Lösungsstrategien. Zwar gibt es in einigen Städten bereits automatisierte U-Bahnen, sowie auch erste Versuche mit autonomen Bussen für den städtischen, aber auch den ländlichen Bereich, dennoch liegt das Hauptaugenmerk in der Automatisierung des eigenen oder mit anderen geteilten Pkw. Studien zeigen auf, dass durch Automatisierung in Städten um 40 und auf Autobahnen um 80 Prozent mehr Autos unterwegs sein könnten. Damit ist klar, dass die Automatisierung im motorisierten Individualverkehr weitreichende Auswirkungen auf die Städte, den ländlichen Raum (Stichwort Zersiedelung) und auch auf alle anderen Verkehrsangebote haben wird. Berücksichtigt man das angepeilte Geschäftsmodell von Betreibern, nämlich große Flotten von Robotertaxis im dicht besiedelten Gebiet anzubieten, wird deutlich, was auch bereits der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zu bedenken gibt: „Das autonome Fahrzeug könnte ein Teil des öffentlichen Verkehrssystems werden – es könnte aber auch in weiten Teilen die Existenz des heutigen öffentlichen Nah- und Fernverkehrs in Frage stellen.“ Denn wozu braucht es noch öffentliche Verkehrsmittel, wenn jeder günstig eine Fahrgelegenheit zur Haustür bestellen und bis zum Zielort ohne auf den Verkehr zu achten nutzen kann? „Vorhersagen sind schwierig, insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen“, haben schon Nils Bohr und Karl Valentin erkannt. Fest steht, dass die Automatisierung nicht primär aus technischer Sicht eine Herausforderung ist. Vielmehr stellt sich die Frage welche technischen Lösungen sinnvoll sind. Zahlreiche Eckpunkte sind noch nicht einmal in einem breiteren Diskurs angelangt. So sind etwa die Beschäftigten im Verkehrssektor bislang nicht in die Prozesse eingebunden und es fehlen Ansätze, wie sich die Arbeitswelt verändern wird bzw. muss. Unklar ist auch die Frage der Haftung, wenn es zu Fehlfunktionen mit Unfällen kommt. Beide Punkte werden in den folgenden Artikeln noch näher beleuchtet.

Automatisierung braucht Gestaltung und Mitsprache

Automatisiertes Fahren wird vor allem in Kombination mit der Elektrifizierung des Antriebs als die Lösungsstrategie der verkehrs- und klimapolitischen Probleme propagiert. Außer Acht bleiben dabei aber Flächenverbrauch und Lärmemissionen – die ab 35 km/h hauptsächlich durch die Reifenabrollgeräusche entstehen. Mit dem Blick zurück lässt sich feststellen, dass technisch fortgeführt wird, was vor über 100 Jahren begonnen hat, als beim Wagen das Pferd durch einen Motor ersetzt wurde. Nun hoffen viele erneut, dass mit dem Ersatz des „Kutschers“ und einer weiteren Adaption des Antriebs die drängenden Probleme gelöst werden könnten, was aber zu bezweifeln ist, wenn der motorisierte Individualverkehr weiter ungebremst zunimmt. Vor diesem Hintergrund fordert auch der VDV, dass sich die öffentliche Hand, Verkehrsverbünde und Anbieter im Umweltverbund dafür einsetzen, dass autonome Fahrzeuge dort eingesetzt werden, wo sie gesamt am meisten Sinn machen: als Zubringer zum öffentlichen Verkehr vor allem im ländlichen Raum und als Zusatzangebot im städtischen Verkehr, der aber mehr Raum für das zu Fuß gehen und Radfahren bieten muss und damit überwiegend auf den Umweltverbund setzt. Übrigens, schon von Cäsar ist belegt, dass er aus Lärmschutzgründen in allen römischen Städten den Wagenverkehr tagsüber gesetzlich massiv eingeschränkt hat.