Politik

Lieferketten: Auf Menschen und Umwelt achten!

Der Ausbruch der Coronapandemie kann als Wendepunkt im globalen Güterhandel betrachtet werden. War es zuvor doch selbstverständlich, jederzeit alle erdenklichen Konsumgüter erwerben zu können. Mit den ersten Lockdowns änderte sich dies schlagartig: Produktionsstätten wurden geschlossen, aber auch die Arbeit an neuralgischen Transportknotenpunkten wie Containerhäfen eingestellt. Lieferverzögerungen oder -ausfälle halten bis heute an und führen uns die Fragilität globaler Lieferketten vor Augen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine schafft neue Probleme und befeuert bestehende Verwerfungen in der Weltwirtschaft. Die Versorgung mit Energie, aber auch mit Lebensmitteln wie Getreide oder wichtigen Metallen steht auf dem Spiel. 

Fragile globale Lieferketten

Vor dem Hintergrund dieser Verwerfungen wird nun diskutiert, wie die Versorgungssicherheit in Österreich und Europa sichergestellt und die Resilienz von Lieferketten erhöht werden kann. Denn Studien belegen, dass die Häufigkeit externer Schocks wie Kriege oder Pandemien im Steigen begriffen sind und daher die Notwendigkeit besteht, langfristige Lösungen bereitzustellen. Grundlage für weitere Debatten muss eine breite Problemanalyse sein. Leider ist derzeit festzustellen, dass sich viele Diskussionen auf die Diversifizierung von Zulieferern, die geographische Streuung der Produktion zur Vermeidung von Cluster-Risiken und den Ausbau von Lagerkapazitäten beschränken. 

Diese Sichtweise greift zu kurz. Denn es werden markante Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte ausgeblendet, die die bestehenden Abhängigkeiten und Vulnerabilitäten erst geschaffen haben. Dazu gehört insbesondere eine auf Kosten- und Effizienzerwägungen sowie Profitsteigerung ausgerichtete Liberalisierungspolitik, die zur Auslagerung von Produktionsstätten in Länder mit niedrigen Löhnen sowie geringeren Arbeitsrechts- und Umweltstandards geführt hat. Diese Vorgehensweise hat auch in der EU Druck auf Lohnniveau und Arbeitsbedingungen ausgeübt. Vor allem aber hat die einseitige Ausrichtung an kurzsichtigen und offensiv kommerziellen Interessen zu einer außenwirtschaftlichen Abhängigkeit in elementaren Produktions- und Versorgungsbereichen geführt (Stichwort: russisches Gas), deren Folgen wir nun alle zu tragen haben. 

Die Rückverlagerung von Wertschöpfungsketten, wo sinnvoll und möglich, gemeinsam mit dem Ausbau von Produktionskapazitäten in der EU gerade in Bereichen der kritischen Daseinsvorsorge wie z.B. Gesundheit und Abfallentsorgung stellen dabei begrüßenswerte Initiativen dar. Vor allem aber braucht es eine eindeutige Neuausrichtung hin zu einer Politik, die das Allgemeinwohl in den Mittelpunkt stellt und sozialen und ökologischen Zielen Vorrang vor Profitinteressen transnationaler Konzerne einräumt. Die Achtung von Menschen- und Arbeitsrechten, Klima- und Umweltstandards sind dabei ein zentraler Baustein für nachhaltige, faire und gleichermaßen resiliente Lieferketten. Sichere und gesunde Arbeitsplätze sind eine Grundvoraussetzung für eine stabile und krisenresistente Versorgung. Der kürzlich veröffentlichte Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Das ist angesichts der desaströsen Arbeitsbedingungen und zum Teil katastrophalen Umweltauswirkungen in unseren Wertschöpfungsketten dringend nötig.

Ausbeutung und Umweltzerstörung

Ein Blick auf unsere globalen Lieferketten zeichnet ein verheerendes Bild: Viele Alltagsprodukte werden unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und durch Umweltzerstörung hergestellt. In ihrer Mitteilung zu menschenwürdiger Arbeit weltweit hat die EU-Kommission Anfang 2022 festgehalten, dass 160 Millionen Kinder von Kinderarbeit betroffen sind. 25 Millionen Menschen müssen Zwangsarbeit leisten. Der Internationale Gewerkschaftsbund hält in seinem Globalen Rechtsindex von 2021 fest, dass ein dramatischer Höchststand an Arbeitsrechtsverletzungen zu verzeichnen ist. 

Ein augenfälliges Beispiel ist die Textilindustrie. Nur wenige EU-Unternehmen produzieren noch selbst. Ein Großteil unserer Kleidung stammt aus Ländern wie Bangladesch, Pakistan oder China. 
In diesen Ländern werden Arbeitnehmer:innenrechte „nicht garantiert“ so der Internationale Gewerkschaftsbund. Die Rolle von Unternehmen ist dabei zwiespältig. Nach außen werden Corporate Social Responsibility-Ansätze kommuniziert. Diese sollen helfen, Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten abzustellen. In den letzten Jahren hat sich aber klar herausgestellt, dass freiwillige Selbstverpflichtungen von Unternehmen ineffektiv sind. Denn diese Ansätze scheitern daran, offene Widersprüche innerhalb der Unternehmenspolitik zugunsten von Arbeitnehmer:innen und Umwelt aufzulösen.

Wie eine aktuelle Studie der EU-Kommission zeigt, fokussieren Unternehmen viel zu oft auf kurzfristige Gewinnmaximierung. Shareholdervalue first. Das äußert sich in bedenklichen Einkaufs- und Beschaffungspraktiken, die Menschenrechtsverletzungen in der weiteren Lieferkette implizieren: die Bezahlung von Preisen unter dem Herstellungswert oder Stornierungen bereits produzierter Ware während der Corona-Pandemie. Die Folgen solcher Unternehmenspraktiken sind absehbar und fatal. Sie bedeuten nicht existenzsichernde Löhne für die Arbeiter:innen, Kinderarbeit, Subauftragsvergabe an so genannte „Schattenfabriken“, wo das Arbeitsrecht gar nicht existiert.

EU-Lieferkettengesetz … 

All das zeigt: Es braucht verbindliche Regeln zum Schutz von Menschen und Umwelt. Anfang 2022 hat die EU-Kommission nach etlichen Verzögerungen einen Richtlinienvorschlag für mehr Unternehmensverantwortung vorgelegt. Damit kommt sie den jahrelangen Forderungen von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft nach, vorhandene internationale Standards wie die UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte in „hartes“ Recht zu übersetzen. Diese Entwicklung ist tatsächlich als Paradigmenwechsel zu bezeichnen.

Sorgfaltspflichten heißt das Zauberwort, mit dem Unternehmen künftig dazu angehalten werden sollen, ihre Lieferketten auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung zu prüfen. Unternehmen sollen dazu verpflichtet werden, ihre Wertschöpfungsketten unter die Lupe zu nehmen und zu identifizieren, wo Missstände bestehen und darauf einwirken, diese abzustellen. Die gesetzten Maßnahmen sind regelmäßig auf ihre Wirksamkeit zu evaluieren und über den Prozess muss öffentlich kommuniziert werden. Verstößt ein Unternehmen gegen die Sorgfaltspflichten, sollen Sanktionen wie beispielsweise Geldstrafen verhängt werden können. Außerdem sollen Unternehmen in engem Rahmen haften, wenn es zu Schäden kommt. Die Vorlage des Entwurfs ist zu begrüßen. Allerdings darf die Freude über die Vorlage nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Entwurf gravierende Schlupflöcher und Mängel enthält, die eine wirksame Regelung zu unterminieren drohen. 

… Lösung mit Nachbesserungsbedarf

Das zeigt sich zunächst im Anwendungskreis: Weniger als 0,2 Prozent der EU-Unternehmen wären laut aktuellem Entwurf von der Regelung erfasst. Die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards wird damit zum Nischenprogramm weniger Großkonzerne erklärt, statt zur klaren Verantwortung jedes in Europa tätigen Unternehmens. 

Diese Unternehmen müssen in Zukunft ihre gesamten Wertschöpfungsketten einem Sorgfaltspflichtenprozess unterziehen – umfasst sind dabei sowohl vorgelagerte als auch nachgelagerte Lieferketten. Dieser begrüßenswert breite Ansatz wird jedoch durch eine gewichtige Ausnahme eingeschränkt: So sollen lediglich „etablierte“ Geschäftsbeziehungen der Sorgfaltspflicht unterliegen. Kurzfristige Geschäftsbeziehungen sind davon ausgenommen. Das widerspricht klar dem risikobasierten Ansatz aller internationalen Standards. Nach dem Prinzip der Priorisierung sollten Unternehmen immer bemüht sein, schwerwiegende und irreversible Missstände in ihren Lieferketten zu adressieren. Problematisch ist auch die Ausgestaltung des Sorgfaltspflichtenprozesses. In diesem muss zum einen die (bislang fehlende) umfassende Einbindung von Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innenvertretungen sichergestellt werden. Zum anderen setzt der Text stark auf einseitige, formale CSR-Ansätze wie Codes of Conduct und Vertragsklauseln, die durch Audits geprüft werden sollen. Die Rolle der milliardenschweren Audit- und Zertifizierungsbranche muss allerdings viel stärker hinterfragt werden. Diese unterliegt derzeit keinen gesetzlichen Regelungen oder Mindeststandards im Hinblick auf die Qualität von Audits, die Aus- und Weiterbildung von Auditoren, Transparenz, Interessenskonflikte und Prüfgegenstand. Schlimmstenfalls können Audits so dazu beitragen, Missstände zuzudecken, anstatt Verbesserungen herbeizuführen.

Klimabezogene Sorgfaltspflichten sieht der Entwurf überhaupt erst im Rahmen einer Revision nach sieben Jahren und dabei auch nur fakultativ vor: viel zu unverbindlich und zu spät angesichts der sich verschärfenden Klimakrise. Hier sind einklagbare Klimaverpflichtungen zu fordern.

Mit der äußerst begrüßenswerten Einführung einer Haftung für Schäden bei Nichteinhaltung der Sorgfaltspflichten wird zwar grundsätzlich der Klagsweg für Geschädigte eröffnet, bestehende Hürden in komplexen transnationalen Verfahren werden aber nicht beseitigt. Hier sind insbesondere die unfaire Beweislastverteilung sowie fehlende Sammel- und Verbandsklagemöglichkeiten zu nennen.

Der Vorschlag liegt nun zur weiteren Verhandlung im EU-Parlament und im Rat, wo die Mitgliedstaaten entscheiden. Ihnen obliegt es nun, den vorgelegten Textvorschlag nachzubessern und so den Erwartungen der Bürger:innen gerecht zu werden. Diese fordern mit großer Mehrheit ein strenges EU-Lieferkettengesetz – ohne Ausnahmen und Schlupflöcher. Damit unsere globalen Lieferketten gerechter, nachhaltiger und somit auch resilienter werden.

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