Politik

Pkw-Neuwagen: Die getäuschte Öffentlichkeit

Der Abgasskandal von Volkswagen in den USA hat einer breiten Öffentlichkeit vor Augen geführt, was bei der Pkw-Typisierung alles geschehen und welche dramatischen Folgen dies für Umwelt, KonsumentInnen und betroffene ArbeitnehmerInnen haben kann. Augenscheinlich wurden dabei auch Vollzugsdefizite in der EU im Vergleich zu den USA. Vermengt werden in der Berichterstattung jedoch verschiedene Themenstränge, die nur indirekt zusammenhängen und getrennt betrachtet werden sollten.

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Schon allein die Installation von Software zur Manipulation von Abgastests („defeat devices“) im Prüflabor ist auf beiden Seiten des Atlantiks eine strafbare Tat. Höchst unterschiedlich sind jedoch die konkreten Straffolgen. Während der US-Gesetzgeber Strafen in Milliardenhöhe vorsieht, gibt es abschreckende Strafen in den EU-Mitgliedstaaten nur auf dem Papier. Das österreichische Kraftfahrgesetz (KFG) etwa hat als Umsetzung der EU-Verordnung 715/2007 nur 5.000 Euro als Höchststrafe vorgesehen. Symptomatisch hierfür ist auch der öffentliche Diskurs über den „Imageschaden von VW“ und eine getrübte „Kundenbeziehung“. Über andere öffentliche Schutzgüter bei erhöhten Stickoxid-(NOx)-Emissionen (z.B. Gesundheitskosten durch Ozon- und sekundäre Feinstaubbelastung) herrscht hierzulande noch immer beredtes Schweigen. 

Handlungsbedarf

Höhere Luftschadstoffemissionen (v.a. NOx) als unter realen Fahrbedingungen bei einer EU-Abgasnorm (Euro 6) vorgesehen, sind in jeder Hinsicht unbefriedigend, jedoch EU-rechtlich weiterhin völlig gedeckt. Deswegen versucht die EU-Kommission mit dem Vorhaben „Real Driving Emissions“ (RDE) den Autoherstellern Höchstgrenzwerte („not to exceed-values“) vorzuschreiben, die künftig durch das „On Board Diagnosis-System“ in jedem Pkw kontrolliert werden sollen. Erst im Oktober 2015 wurden auch „wirkliche“ Grenzwerte beschlossen. Bei diesem „Euro 6c-Diesel-Pkw“ klafft zwar auch noch eine Lücke, im Vergleich zum jetzigen Euro-6-Diesel-Pkw (Faktor 7) wird sie jedoch kleiner. Vorbild sind auch hier die USA, wo Hersteller auch Auflagen im realen Fahrbetrieb beachten müssen. Wie nötig dies auch für Österreich ist, zeigt die jüngste Studie des Umweltbundesamtes (UBA) im Auftrag der AK-Wien, „Pkw-Emissionen zwischen Norm- und Realverbrauch“, auf. Demnach haben in den letzten 15 Jahren die  EU-Abgasnormen für NOx-Emissionen bei Diesel-Pkw (Euro 3, 4, 5 und 6) zu keinen nennenswerten Abnahmen geführt. Den Schaden in Österreich – nur aus der Differenz zwischen tatsächlichen und „nominellen“ NOx-Emissionen  für externe Kosten – beziffert das Umweltbundesamt mit 438 Millionen Euro für das Jahr 2010.

Vorgeschichte

Die Diskussion über „wirkliche“ Fortschritte bei Treibstoff sparenden Pkw in der EU hat eine lange Vorgeschichte. Hintergrund: Alle Autohersteller in der EU müssen sicherstellen, dass ihre neu verkauften Pkw im Flottendurchschnitt ab dem Jahr 2015 nicht mehr als 120 g CO2/km ausstoßen. Das entspricht bei Benzinern einem Verbrauch von 5,2 l/100 km und bei Diesel-Pkw 4,5 l/100 km. Ab 2021 wird diese Vorgabe auf 95 g CO2/km gesenkt (Verbrauch: 4,1 l/100 km bei Benzinern bzw. 3,6 l/100km bei Diesel-Pkw) . Zwischen 2015 und 2021 muss also ein Hersteller seinen CO2-Ausstoß um 27 Prozent  reduzieren. Für jedes Gramm CO2-Überschreitung werden 95 Euro als Pönale fällig. Weil Autos in den letzten Jahren augenscheinlich nicht unbedingt an Gewicht, Größe und Motorstärke abgenommen haben, erreichen Hersteller die CO2-Ziele über konsequentes Ausnützen von Schlupflöchern beim Prüfzyklus, so der hartnäckige Verdacht.  Dieser ist die EU-rechtliche Voraussetzung für die Typisierung von Pkw und des Normverbrauchs, der vom Hersteller gegenüber den KonsumentInnen ausgewiesen werden muss. Aber auch Steuerregelungen und Förderungen (z.B. Verschrottungsprämie) in den EU-Mitgliedstaaten referenzieren darauf. 

Der „flexible“ Prüfstand

Dieser Prüfzyklus (Neuer Europäischer Fahrzyklus/NEFZ) gilt gemeinhin als bedingt tauglich für die Abbildung von realen Fahrgegebenheiten (z.B. Autobahngeschwindigkeit von 120 km/h, niedriges Beschleunigungsverhalten), auch aufgrund legaler Schlupflöcher für die Autohersteller (z.B. erhöhter Reifendruck für minimierten Rollwiderstand, auf 30 Grad vorgewärmter Motor, Abschalten der Lichtmaschine, etc.). Dies erklärt laut UBA auch den Unterschied zwischen dem offiziellen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 132 g CO2/km der 2013 neu zugelassenen Pkw in Österreich und dem tatsächlichen Durchschnitt von 167g CO2/km. Andere Studien (ICCT) können aufgrund von Verbraucherdatenbanken nachweisen, dass diese Lücke im Zeitraum 2001 bis 2015 rasant größer geworden ist. Demnach sind nur zwei Drittel aller angegebenen CO2-Einsparungen wirklich, das andere Drittel ist dagegen nur auf dem Papier erzielt worden. Für Österreich liegen erstmals robuste Daten über die größer werdende Lücke vor (siehe Kasten Seite 29). 

Abhilfe soll der neue Prüfzyklus Worldwide harmonized Light vehicles Test Procedures (WLTP) schaffen, der ab 2017 zwingend für die Pkw-Typisierung in der EU, China und Indien vorgesehen ist. Strittig daran ist, ob eine Außentemperatur von 22 Grad oder – für Europa und seine Autofahrer verbrauchsrealer –14 Grad herangezogen wird. Weil AutoherstellerInnen in der EU die CO2-Vorgaben für 
2015 und 2021 dank NEFZ und diverser „Schlupflöcher“ bequem erreichen, ist die Einführung des WLTP mit einer „Konversionsverordnung“ junktimiert, die den AutoherstellerInnen ihre „erworbenen Rechte“ sichert. Im Gefolge des VW-Skandals dürften gewisse EU-Mitgliedstaaten allerdings schwerer ihre Widerstände aufrechterhalten können.

So unterschiedlich gewisse Praktiken am Pkw-Prüfstand im Labor, abweichende NOx- und CO2-Emissionen bzw. Treibstoffverbräuche im Realbetrieb sein mögen, eines wurde deutlich: im Vergleich zu den USA sind die Regulierung und der Vollzug von Vorschriften in der EU erbärmlich. Europa ist bei den Behörden hinsichtlich Ressourcenausstattung, Kontrolldichte und Organisationsstruktur so schlank, dass sie praktisch nur auf dem Papier existieren und im Binnenmarkt „freie Fahrt“ für Automobilhersteller vorherrscht. In Europa geben Autohersteller ein Autoexemplar ihrer Wahl in ein Prüflabor ihrer Wahl, das wirtschaftlich in einem Abhängigkeitsverhältnis steht und in einem Gutachten die Einhaltung des Prüfzyklus bestätigt.  Mit diesem Gutachten als Basis stellt eine nationale Behörde eine Typisierung für den gesamten Binnenmarkt aus, ohne es in der Praxis zu prüfen. Behörden in anderen Mitgliedstaaten können zwar jederzeit die Konformität dieses Pkw untersuchen, tun es aber nicht, weil es – erraten – ihnen an Personal und Ressourcen fehlt. Das US-System beruht vereinfacht auf  Grenzwerten, die auch abseits vom Testlabor im Realbetrieb eingehalten werden müssen. Hersteller zertifizieren ihre Grenzwerte selbst und müssen im Gegenzug damit rechnen, dass die Umweltbehörde die Abgaswerte bei einem willkürlich ausgewählten Pkw aus der Fabrik und nach der Zulassung überprüft.

Vehementes Lobbying auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten hat bewirkt, strengere Abgaswerte und Kontrollsysteme seit den 1990er Jahren zu verhindern, zu verwässern und zu verzögern. Die Lobbyausgaben der Automobilkonzerne und ihrer Verbände 
in Brüssel und deren ExpertInnen in Arbeitsgruppen der Kommission haben dies unter dem Deckmantel der technischen Expertise bewirkt. Deswegen bedarf es mehr 
an Transparenz, Beteiligung von Umwelt- und KonsumentenvertreterInnen und eine bessere Ressourcenausstattung bei öffentlichen Behörden.