Editorial: Etikettenschwindel

Die neue Regierung hat ein Lieblingswort entdeckt, das Gold Plating. Die damit verbundene Argumentation gibt vor, dass in Österreich EU-rechtlich vorgeschriebene Standards zum Schaden der Wirtschaft übererfüllt werden. Das Argument ist nicht neu: Seit rund 20 Jahren wird es von Industrie- und WirtschaftsvertreterInnen jeglicher Forderung zur Verbesserung des KonsumentInnen-, ArbeitnehmerInnen- oder Umweltschutzes gebetsmühlenartig entgegengehalten. Diese Abwehr von legitimen Interessen der Bevölkerung hat schon fast etwas Religiöses an sich. Religiöse Glaubenssätze werden ja auch häufig nicht hinterfragt und damit rechnen offensichtlich die PredigerInnen des Gold Plating. Große Teile der österreichischen Medienlandschaft sind mittlerweile zur „goldenen Religion“ konvertiert und stimmen in das Mantra gegen Gold Plating und Überregulierung ein. Dabei lässt sich bei genauerem Hinsehen ganz klar erkennen, worum es geht. Vor allem im sozialen Bereich werden Bestimmungen in Frage gestellt, die essentielle Teile des österreichischen Sozialstaates darstellen. Es geht um Mindestsicherung, Arbeitszeit, funktionsfähige Sozialversicherungssysteme und die Sozialpartnerschaft. Alles hart errungene und demokratisch beschlossene Regelungen, die ArbeitnehmerInnen schützen und von Unternehmen als lästige Kostenfaktoren gesehen werden. Gepaart ist der Feldzug gegen Gold Plating mit einer Kampfansage gegen „sinnlose Regulierungen“ und angeblich veraltete Gesetze. Dass zumindest die Hälfte der Regierung diese in einem ausgewogenen Gesetzgebungsprozess selbst mitgestaltet hat, wird verschwiegen. Im Umweltschutz geht es um einen doppelten Etikettenschwindel. Bei genauer Betrachtung gehört Österreich nämlich keinesfalls zu den „Übererfüllern“ europäischer Mindestregeln sondern ist im Gegenteil häufig „Untererfüller“. Zur Rücknahme von überschießenden Regeln fehlen hier jegliche Ansatzpunkte. Gold Plating ist ein falsches Etikett, dass – weil es so modern glänzt – nur das alte Etikett vom Sozialabbau und der einseitigen Entlastung der Wirtschaft überdecken soll.