Wirtschaft & Umwelt - Zeitschrift für Umweltpolitik und Nachhaltigkeit

Kontroverse: Höchste Zeit für Arbeitszeitverkürzung?

Pro:  Nur mit Arbeitszeitverkürzung können wir die Arbeit fair verteilen.

Die Lage am Arbeitsmarkt ist dramatisch. 2020 stieg die Arbeitslosigkeit um über 100.000 Personen. 2/3 der zusätzlichen Arbeitslosen werden auch 2021 keine Arbeit finden. Das kann man nicht hinnehmen. Es muss nun alles darangesetzt werden, mit einem Maßnahmenmix möglichst viele Menschen in Beschäftigung zu bringen. Dazu bedarf es neben Qualifizierung, öffentlich finanzierter Beschäftigung auch einer fairen Verteilung des Arbeitsvolumens. 

Ohne Arbeitszeitverkürzung steuern wir auf folgendes Szenario zu: Hohe Langzeitarbeitslosigkeit bei älteren Arbeitslosen, Einstiegsprobleme für die Jungen, Teilzeit für jede zweite Frau und lange Arbeitszeiten für (meist männliche) Vollzeitbeschäftigte. Eine derart polarisierte Verteilung von Arbeit, Arbeitszeiten und Einkommen kann nicht wünschenswert sein. Eine Arbeitszeitverkürzung ist daher jetzt das Gebot der Stunde. Das Arbeitsvolumen ist gesunken und wird nicht ausreichend steigen, um allen Arbeit Suchenden Arbeit zu ermöglichen.  

Österreich hat bei den Vollzeitbeschäftigten die drittlängsten Arbeitszeiten in der EU. Von diesen wollen fast eine halbe Million ihre Arbeitszeiten um zumindest 5 Stunden je Woche reduzieren. Wir sagen: Nutzen wir das Potenzial der Menschen, die ihre Arbeitszeit verkürzen wollen, um jenen Arbeit zu ermöglichen, die Arbeit suchen. 

Ist das standortschädlich? Nein, denn auch die Jahresarbeitszeit ist in Österreich viel höher als in vergleichbaren Ländern. In Westeuropa (EU 15) liegt die Jahressollarbeitszeit um 36 Stunden unter der von Österreich. In Schweden, Dänemark und Deutschland wird über das Jahr noch deutlich kürzer gearbeitet als in Österreich.

Con: Nehmen wir Geld in die Hand, um Arbeit zu schaffen und nicht zu reduzieren. 

Das Arbeitsvolumen auf mehr Köpfe verteilen. Den Arbeitsmarkt abschotten, um Inländern Jobs zu verschaffen. Frühpensionen ermöglichen, um Jobs für Junge freizumachen. Was haben die drei Ideen gemeinsam? Sie klingen logisch, funktionieren aber in der Praxis nicht. Denn der Arbeitsmarkt ist nicht statisch, Arbeitszeit und Jobs nicht wie Kuchenstücke verteilbar.

Beispiel Frankreich: Nach Einführung der 35 Stunden-Woche sank die Arbeitslosigkeit nicht, sie stieg. Gleichzeitig stieg das Budgetdefizit und die Leistungsbilanz drehte ins Minus. Warum geht die Rechnung nicht auf? Eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Lohn verteuert Arbeit und zwingt Unternehmen, weniger produktive Arbeitskräfte abzubauen. Für die Verbliebenen steigt der Druck, in weniger Zeit dasselbe zu leisten. Eine Verkürzung mit geringeren Löhnen kostet Kaufkraft, auch nicht gut.

Eine Verkürzung verschärft den Fachkräftemangel. Wer will jetzt die Arbeitszeit von Ärzten und Ärtztinnen reduzieren? Fachkräftemangel gibt es aber auch woanders und er nimmt zu, weil die Babyboomer in Pension gehen! Ohnehin arbeiten die Österreicher*innen heute im Schnitt um zwei Stunden pro Woche weniger als 2008. Die Gründe: Mehr Teilzeit, weniger Überstunden. Zudem gehen wir um zwei Jahre früher in Pension als vor 50 Jahren!

Kurzarbeit ist gut, weil befristet und zielgerichtet für Unternehmen in der Krise. Gießkannenförderung für eine Arbeitszeitverkürzung ist hingegen falsch. Das BIP schrumpft heuer um 7 Prozent, wir brauchen also Wachstum. Das heißt: Wenn wir Geld in die Hand nehmen, dann bitte nicht, um Arbeit zu reduzieren, sondern um Arbeit zu schaffen.