Leben
Ernährungsarmut: Die gesunde und klimafreundliche Wahl muss die einfachste sein
Armut kommt oft schleichend. „Es kann zum Beispiel damit beginnen, dass man anfängt, ganz bestimmte Lebensmittel nicht mehr zu kaufen. Das haben wir auch in den Fokusgruppen gehört: ‚Ja, ich esse voll gerne in meinem Müsli Himbeeren zum Beispiel, aber die kaufe ich mir jetzt nicht mehr‘“, erzählt Christina Lampl. Lampl ist Mitautorin der Studie „Ernährungsarmut in Österreich als Barriere für eine gesunde und klimafreundliche Ernährung“, die im vergangenen Jahr erschienen ist. Die Ergebnisse der repräsentativen Studie sorgten für Überraschung, so Lampl. Nicht erst die Teuerung und multiple Krisen haben dazu geführt, dass es für viele Menschen immer schwieriger wird, sich eine gute und gesunde Ernährung leisten zu können.
Ernährungspolitik gegen Armut?
Die Studie zeigt, dass begrenzte Ernährungsmöglichkeiten eine zentrale Dimension von Armut darstellen – auch in reichen Ländern wie Österreich, in denen mehr als genug Lebensmittel vorhanden wären. Ernährungspolitik kann daher als Teil einer effektiven Armutsbekämpfung verstanden werden und zu einer gerechteren Verteilung der vorhandenen Ressourcen beitragen. Expert:innen und diverse Initiativen weisen dabei auf konkrete Lösungen hin: Preisregulierungen bei Grundnahrungsmitteln wurden etwa während der Teuerung gefordert und Angebote für ein gesundes Frühstück in Schulen könnten Kinder unterstützen und Eltern entlasten. Flächendeckend umgesetzt wird von diesen und anderen Ideen wenig, denn Ernährungspolitik ist kein zentraler Teil der Sozialpolitik. Stattdessen wird staatliche Verantwortung an karitative Einrichtungen wie Sozialmärkte und die Tafeln ausgelagert.
„Kaufe biologisch und regional, iss weniger Fleisch, achte auf Ausgewogenheit und Saisonalität und vermeide hochverarbeitete Lebensmittel.“ – Der zentrale Modus ernährungspolitischer Interventionen ist weniger die Sozial- oder Ordnungspolitik, sondern eine Biopolitik, bei der die öffentliche Hand zwar an die Verantwortung und Moral der Individuen appelliert, gleichzeitig aber nur wenig strukturelle Unterstützung zur Umsetzung dieser Appelle bietet. So entsteht der Eindruck, die Menschen seien selbst schuld, wenn sie nicht gesund und nachhaltig leben. In der Konsequenz wird dann etwa Übergewicht moralisch diffamiert und die Betroffenen beschämt, was zu großem Leid führt. Auch in Bezug auf Ernährungsarmut stellt das laut Christina Lampl ein Problem dar: „Das mediale Framing, wenn es um Armut geht, ist häufig jenes der Selbstschuld und Eigenverantwortung und der alleinige Blick darauf ist problematisch. Dann kommt zum Beispiel das Argument, dass der selbstgekochte Linseneintopf nur wenig kostet. Dabei werden aber die vielfältigen Herausforderungen im Alltag der Menschen übersehen. Das, glaube ich, verstärkt das Problem noch einmal eine Spur mehr.“
Ernährungspolitik dieser Prägung ist nicht nur unsozial, sie ist auch zutiefst ineffektiv. Abseits der erschreckenden Zahlen zu Ernährungsarmut sind nämlich auch die negativen Auswirkungen aktueller Ernährungsweisen auf die Gesundheit problematisch. Ernährungsbedingte Erkrankungen sind seit Jahren auf dem Vormarsch und belasten das Gesundheitssystem. Zusätzlich bleibt die Lebensmittelproduktion – trotz vermeintlicher gesellschaftlicher Trends zu nachhaltiger Ernährung – konstant einer der größten Treiber der Klimaerwärmung.
Mögliche Auswege: soziale und ökologische Ernährungspolitik
Der Grund für diese Ineffizienz ist so einfach wie kontraintuitiv: Alle Beteiligten überschätzen den Einfluss bewusster Entscheidungen auf die individuelle Ernährung maßlos. Denn, so der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz in Deutschland, das Essverhalten ist zutiefst kontextabhängig und wird von Angebot, Werbung, kulturellen Normen und materiellen Ressourcen geprägt. Es ist also abhängig von unseren sogenannten Ernährungsumgebungen. Gerade in deren aktiver Gestaltung läge aber der Handlungsspielraum einer sozialen und ökologischen Ernährungspolitik, die nicht nur Ernährungsarmut bekämpfen, sondern auch zu einer positiven Perspektive auf Genuss, Nachhaltigkeit und Gesundheit beitragen kann. Christina Lampl bringt es auf den Punkt: „Die gesunde und klimafreundliche Wahl muss die einfachste sein.“
Der effizienteste und wichtigste politische Hebel liegt dabei in der Gemeinschaftsverpflegung, von Expert:innen wird etwa immer wieder der kostenlose, gesunde und nachhaltige Mittagstisch in Kindergärten und Schulen gefordert. Und tatsächlich gibt es regional durchaus positive Entwicklungen in diese Richtung. Seit 2023 ist in Wien das Mittagessen in Ganztagsschulen für alle Schüler:innen gratis, im Jahr darauf ging die Volxküche Traiskirchen mit dem Ziel: „Allen Kindern ein warmes und gesundes Mittagessen“ in Betrieb.
Auch die Zivilgesellschaft wird aktiv. In vielen Städten entstehen demokratische Ernährungsräte, an denen sich Menschen beteiligen können. Darüber hinaus versuchen diverse Food Coops (Einkaufsgemeinschaften) gemeinschaftlich leistbare und nachhaltige Lebensmittel zu erwerben. Mit dem MILA Mitmachsupermarkt und der Initiative morgenrot (siehe Kommunikation) werden im Jahr 2025 auch wieder genossenschaftlich organisierte Supermärkte in Wien eröffnet – jede:r kann Mitglied und damit Teil des Unternehmens werden. Doch egal in welcher Form man sich engagiert, für Lampl bleibt zentral, das Thema Ernährungsarmut weiterhin ernst zu nehmen. „Auch wenn unsere Studie jetzt ein Jahr her ist und das Thema vielleicht nicht so präsent ist. Es bleibt trotzdem gleich relevant und wird uns auch noch länger beschäftigen. Also laut bleiben und für die Menschen einstehen. Das wäre mein Appell.“