Politik

REFIT der EU- Umgebungslärm-Richtlinie

Ziel der EU-Umgebungs-Lärmrichtlinie END (Environmental Noise Directive; 2002/49/EG) ist ein managementartiges Vorgehen der zuständigen Behörden im Fünf-Jahresrhythmus. Die notwendigen Bausteine dafür sind aus der Praxis von Qualitäts- wie Umweltmanagementsystemen bekannt und basieren darauf, dass am Beginn einer Betrachtungsperiode die Probleme und Defizite benannt, dazu messbare Ziele festgelegt und Pläne mit konkreten Maßnahmen entwickelt werden. Es folgt die Phase der Umsetzung, deren Erfolge/Misserfolge dann anhand vorab festgelegter Kriterien evaluiert werden, was zur Anpassung von Zielen und Maßnahmenplänen im Hinblick auf die nächste Periode führt. Grundsätzlich müssen daher die vorzulegenden Lärmaktionspläne so detailliert ausgearbeitet sein, dass sie konkret erkennen lassen, wo die Probleme liegen und wann nach Maßgabe der erfolgten Prioritätenreihung mit welchen Maßnahmen in den nächsten fünf Jahren zu rechnen ist und wie viele Personen dann voraussichtlich von Umgebungslärm entlastet sein werden. 

Die als Grundlage für END vorgelegten Lärmkarten (www.laerminfo.at) verdienen Anerkennung. Sie schaffen schon mit den kartographischen Darstellungen eine Problemtransparenz, die es vorher in Österreich nicht gab. Lärmbetroffene können nun im Internet die individuell für ihr Wohnobjekt errechnete Lärmbelastung genau ablesen.

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Die zuletzt 2013 in Österreich vorgelegten Aktionspläne zeigen, dass es an einer effektiven Umsetzung der END mangelt. Teilweise erfüllen sie nicht einmal das rechtliche Minimum. Der Mangel aus lärmschutzpolitischer Sicht steckt in den Aktionsplänen: Von einer Lärmproblematik kann man sprechen, wenn in einer lärmbelasteten Zone auch Menschen wohnen. Das zeigt sich aber erst, wenn die errechneten Lärmausbreitungszonen anhand der Einwohnerdaten analysiert werden. Eine – letztlich wohnobjektgenaue – Betroffenenanalyse ist erforderlich. Eine solche ist aber weder den vorgelegten Lärmkarten, noch den Aktionsplänen oder Begleitdokumenten zu entnehmen. Bloße Verweise auf kartographische Darstellungen oder auf nach Bundesländern aggregierte Daten, bloß allgemeine Erörterungen zu den zur Verfügung stehenden Instrumenten und Handlungsebenen sind da nicht ausreichend. Auch die nachträglich vorgelegten Gemeindeauswertungen (Anzahl Lärmbetroffene je Gemeinde) bilden keine Grundlage, aus der sich Maßnahmen bzw. nötige Prioritätensetzungen ableiten lassen. Das lässt den Zweck der Aktionspläne leerlaufen. 

Mangelhafte END

Dass es an einer effektiven Umsetzung mangelt, wurzelt letztlich darin, dass die END keine relevanten und in letzter Konsequenz überprüfbaren Zielsetzungen vorgibt. Das beginnt mit der Frage, welchen Anforderungen Grenzwertfestlegungen durch die Mitgliedstaaten genügen müssen. Hier bleibt die END ebenso vage wie zur Frage, ob die Mitgliedstaaten echte Betroffenenanalysen machen und angeben müssen, wieviele Personen am Ende der fünfjährigen Aktionsplanungsperiode von Lärm entlastet sein sollen.

In Österreich gibt es keine gesetzlichen Vorkehrungen, dass an Bestandsstrecken verpflichtend zu sanieren ist, wenn bestimmte Lärmgrenzwerte überschritten sind, wie dies etwa in der Schweiz vorgesehen ist. Der Punkt ist, dass die END in keiner Phase der Umsetzung Anlass gegeben hat, Verbesserungen dieser nationalen Vorgaben zur lärmtechnischen Sanierung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur vorzunehmen. Dabei wären solche hier dringend nötig.

Wenn Maßnahmen in Österreich angekündigt und umgesetzt werden, so erfolgt das alles weiterhin freiwillig, ohne gesetzliche Bindung; die einzig relevante Maßgabe sind die budgetären Möglichkeiten. Das gilt sowohl für das Bundesstraßen-, als auch das Eisenbahn- und das Luftfahrtgesetz. Nach griffigen Vorgaben zum Lärmschutz an bestehender Infrastruktur sucht man dort vergebens. Wohlgemerkt: Das bedeutet nicht, dass in Österreich keinerlei Maßnahmen gesetzt würden. Aber diese werden nicht aus der Aktionsplanung gemäß END heraus entwickelt; die ist nur ein Nebenschauplatz. 

Ein weiteres Grundproblem besteht darin, dass die Lärmschutzvorkehrungen an neugebauten Strecken im Betrieb nicht verpflichtend überprüft und nachgebessert werden müssen, wenn dies aufgrund zunehmender Verkehrsbelastung nötig wäre. Lärmschutzmaßnahmen an Neubaustrecken werden anhand der – für einen zumeist zehnjährigen Prognosezeitraum – zu erwartenden Verkehrsbelastung ausgewählt und vorgeschrieben. Das passiert zumeist im Rahmen einer Umweltverträglichkeitsprüfung mit Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz.

Wenn dieser Prognosezeitraum abgelaufen ist, ist grundsätzlich keine Nachprüfung erforderlich, ob die Prognose eingetroffen und noch aktuell ist; es ist auch kein Nachbessern erforderlich, wenn es ungeplante Verkehrszunahmen gegeben hat. 

Rechtsfreier Raum

Anders als z.B. in der Schweiz, wo eine Nachtragsgenehmigung erforderlich ist, passiert in Österreich alles Weitere im rechtsfreien Raum, d.h. ohne Öffentlichkeitsbeteiligung und ohne Rechtsschutz: Einen Schutzanspruch haben Betroffene nur einmalig anlässlich der Genehmigung; danach steht es im alleinigen Belieben der Behörde, Vorkehrungen zu ergreifen, wenn Verkehrsmengen und Lärm zunehmen.

Natürlich gelten hier im Allgemeinen sogenannte „Dienstanweisungen“: Die Bedeutsamste ist die für Schnellstraßen und Autobahnen, die zumeist auch von den Bundesländern sinngemäß für  Landesstraßen übernommen werden. Obwohl diese Regelungen große Außenwirkung auf die Lärmbetroffenen haben, werden sie in der Form von „Dienstanweisungen“, d.h. als nur behördeninterne Weisungen erlassen. Eine Beteiligung der Öffentlichkeit bei ihrer Erarbeitung ist nicht vorgesehen. Ihre Einhaltung können Lärmbetroffene auch nicht überprüfen lassen oder gar einfordern. Die Aktionsplanung gemäß END könnte die Funktion der Überprüfung und Qualitätssicherung für dieses behördliche Handeln übernehmen. Dazu ist die END in der derzeitigen Form aber viel zu unbestimmt ausgestaltet.

Die END muss daher dahingehend überarbeitet werden, dass sie den Mitgliedstaaten relevante und überprüfbare Zielvorgaben für die lärmtechnische Sanierung der bestehenden Straßen, Schienenwege und Flughäfen vorgibt. Dies erfordert wirksame Mindestanforderungen an den Detaillierungsgrad von Aktionsplänen. Damit die Mitgliedstaaten relevante Anstrengungen unternehmen, müssen die obigen Vorgaben zwingend noch um einen konkreten zeitlichen Rahmen ergänzt werden, binnen dessen lärmtechnisch zu sanieren ist. Und die END muss Sanierungsgrenzwerte vorgeben, die verbindlich einzuhalten sind.

END-Reform ist dringend nötig

Aktionspläne sollen sich verpflichtend auch der Lärmvorsorge widmen und den Schutz ruhiger Gebiete stärken. Am besten sollte die END eine zwingende Zuständigkeit der regionalen Raumordnungsbehörden für die Lärmminderungsplanung verankern. Weiters sollten Summenkarten dort erstellt werden, wo Umgebungslärm aus mehreren Quellen einwirkt. Gerade bei Bestandssanierungen macht es Sinn, alle Lärmverursacher gemeinsam zu betrachten und zu fragen, welche Maßnahmen am zielführendsten sind. 

Ungeachtet dessen, dass Lärmschutzfenster nur eine Ultima Ratio sein können, soll eine künftige END eine Pflicht der Gebäudeeigentümer zum Einbau vorsehen. Jedenfalls müssen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, angebotene Lärmschutzfensterförderungen zu evaluieren, den Einbau im erfolgten Ausmaß auszuweisen und darüber zu berichten. Die END muss sicherstellen, dass verkehrspolizeiliche Maßnahmen bei der Aktionsplanung verpflichtend miteinbezogen werden und dass die zuständigen Behörden zusammenarbeiten.