Schwerpunkt

Umwelt und Verteilungsgerechtigkeit

Umweltbezogene Gerechtigkeit. Eine Verteilungsfrage

Umweltbezogener Gesundheitsschutz und ein egalitärer Zugang zur Natur waren früh zentrale Themen der Bewegungen für sozialen Fortschritt und ArbeitnehmerInnenrechte. Das zeigt nicht zuletzt die Gründung der Naturfreunde im Umfeld der Wiener Arbeiter-Zeitung im späten 19. Jahrhundert. Später gingen Gewerkschaften und Umweltbewegungen aber oftmals getrennte Wege. Mit den verbesserten Wohn- und Umweltbedingungen in der Stadt drehten sich die Ambitionen der Gewerkschaften im 20. Jahrhundert eher um den arbeitsplatzbezogenen Gesundheitsschutz und Fragen des Gesundheitssystems. Für wesentliche Teile der europäischen Umweltbewegungen im späten 20. Jahrhundert standen hingegen der Naturschutz bzw. der Erhalt bedeutender Umweltgüter im Fokus. Verteilungsfragen spielten dabei eine untergeordnete Rolle. In Österreich gelten der Kampf gegen Atomenergie und die Besetzung der Hainburger Au als Geburtsstunde der modernen Umweltbewegung. Gewerkschaften fanden sich in diesen Machtkämpfen mit dem Argument der Arbeitsplatzsicherung auf der Gegenseite wieder.

In etwa zur gleichen Zeit war die US-amerikanische Bewegung für „environmental justice“ von den Forderungen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung geleitet. Anlässe für den Kampf um die Aufdeckung und Beseitigung von Umweltskandalen waren die persönliche Betroffenheit und berechtigte Gesundheitsinteressen von sozial benachteiligten Gruppen. Der Unmut entzündete sich an Umweltskandalen wie der Entsorgung von hochtoxischen Altlasten im Umfeld der Wohnsiedlungen sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Die – oftmals schwarzen – BewohnerInnen haben diese Skandale in die Öffentlichkeit gebracht und damit schlussendlich politisches Gehör gefunden. Große Belastungen sollten nicht mehr im „NIMBY“-Stil („Not in my backyard“) auf die Schwächsten abgewälzt werden. Unter Präsident Clinton wurde im Jahr 1994 verordnet, die Auswirkungen sämtlicher Aktivitäten der Bundesbehörden auf die Umwelt- und Gesundheitsqualität benachteiligter Bevölkerungsgruppen zu prüfen. Präsident Obama bestätigte 2014 das Recht aller US-AmerikanerInnen auf gute Luft, sauberes Wasser und unverseuchtes Land.

Im Laufe der Zeit wurde der Begriff ‚environmental justice‘ vom politischen Schlagwort zu einem Rahmen für 
wissenschaftliche Untersuchungen erweitert. Da für die USA Umwelt- und Sozialdaten kleinräumig verfügbar sind, lässt sich beispielsweise zeigen, dass Schwarze in ihrer Wohnumgebung überproportional mit Luftschadstoffen der Industrie belastet sind. Mittlerweile liegen derartige Analysen für zahlreiche soziale und ethnische Gruppen, konkrete Belastungen – bis zu kontaminierten Lebensmitteln – sowie unterschiedliche Betrachtungsräume vor. In den späten 1990er Jahren hat die Diskussion zu umweltbezogener Gerechtigkeit über Großbritannien schließlich den Weg nach Europa gefunden. Insbesondere die schottische Labour-Regierung nahm sich während ihrer Regierungszeit von 1999-2005 – in enger Kooperation mit der Umwelt-NGO „Friends of the Earth“ und unter Einbindung wissenschaftlicher Expertise – des Problems schichtspezifischer Umweltbelastungen an. Für westeuropäische Verhältnisse waren die Problemlagen – u.a. Varianz der Lebenserwartung, Energiearmut – dort auch besonders massiv. In Deutschland werden die Zusammenhänge zwischen Umweltqualität, sozialer Ungleichheit und Gesundheit seit der Jahrtausendwende wieder stärker thematisiert. Während sich die Diskussionen in den einschlägigen sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Disziplinen lange um Umwelteinstellungen und individuelles Gesundheitsverhalten drehten, werden Umweltaspekte wieder stärker als entscheidende Faktoren von ‚health inequality‘ wahrgenommen. Zunehmend widmen sich wissenschaftliche Publikationen und Tagungen den klassischen Themen der öffentlichen Gesundheitsvorsorge wie den Auswirkungen ungesunder Wohnumgebungen auf Asthma, Allergien oder stressbedingte Erkrankungen. Fragen der individuellen Gesundheit und Vulnerabilität sollen in einen Zusammenhang mit der Exposition am Wohnort (bspw. Luftqualität, Lärmbelastung) gebracht werden. In diesem Sinne werden in Modellregionen unter dem Begriff „Umweltgerechtigkeit“ bereits systematisch Daten zu raumbezogenen Gesundheitsbelastungen mit Daten zum sozio-ökonomischen Status – wie Einkommen und Bildung – verknüpft (siehe Kasten rechts). 

Ungleich oder ungerecht?

Im Lichte der Umweltgerechtigkeitsdiskussion sollen gesundheitsschädliche Umweltbelastungen möglichst verhindert oder gemindert werden, unvermeidbare Belastungen sind „gerecht“ zu verteilen. Zumindest hier drängt sich jedoch die Frage auf, wie Gerechtigkeit zu beurteilen ist? Ist in Gesundheitsfragen Ungleichheit gleichbedeutend mit Ungerechtigkeit? Würde die Einhaltung von Mindeststandards bereits für ein höheres Maß an Gerechtigkeit sorgen? Wer trägt die Kosten für die Beseitigung oder Minderung der Umweltbelastung? Reicht es aus, wenn die Betroffenen an der Entscheidungsfindung beteiligt sind oder über Wahlmöglichkeiten verfügen? Die Antworten auf diese Fragen dürften sich nicht zuletzt je nach Entstehungsgeschichte der ungleichen Verteilung von Belastungen unterscheiden. Sank die Wohn- und Umweltqualität gemeinsam mit allgemeinen Erscheinungen städtischen Verfalls? Oder wurden belastende Anlagen gezielt an Orten angesiedelt, an denen wenig Widerstand zu erwarten ist? Haben Betroffene aufgrund niedriger Immobilienpreise ihren Wohnort freiwillig in Flughafennähe gewählt? 

Preisendörfer (siehe Splitter links) zufolge ist dann ein gewisses Maß an Ungerechtigkeit zu vermuten, wenn die sozial-räumlichen Ungleichheiten besonders ausgeprägt sind oder

die Umweltbelastungen jenseits zumutbarer Niveaus liegen, eine Kumulation von Nachteilen besteht (bspw. kein Ausgleich durch kurzen Arbeitsweg), das subjektive Wohlbefinden maßgeblich beeinträchtigt ist, NutznießerInnen und Betroffene der Belastung auseinanderfallen, die Betroffenen nicht ausweichen können oder über unzureichende Mitwirkungs- bzw. Mitgestaltungsmöglichkeiten verfügen. 

Die Bewertung der relevanten Variablen bleibt dennoch komplex. Wie soll berücksichtigt werden, dass Arbeitslose meist mehr Zeit am Wohnort verbringen als Berufstätige? Wie werden subjektive Einschätzungen im Vergleich mit objektiven (Umwelt-)Daten gewichtet? Letztendlich liefern die betrachteten Überlegungen immer nur Hinweise für weiterführende Diskussionen. 

Erweiterung des Blicks

Die dargestellte Diskussion zu „environmental justice“ fokussiert häufig auf die kleinräumige Verteilung von Umweltbelastungen. Intergenerationale und internationale Aspekte sowie die Nutzung von (globalen) Umweltgütern werden seltener in den Blick genommen. Es scheint aber durchaus lohnend, die Perspektive zu öffnen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Weltklimaziele stellt sich nicht nur die Frage, welche Gesellschaften einen zu hohen Ausstoß an Treibhausgasen haben, sondern auch, für welche sozialen Gruppen das in besonderem Maße gilt. Global 2000 hat bereits 2008 eine Studie zu „Sozialen Aspekten von Climate Change Impacts in Österreich“ beauftragt. Diese zeigte, dass Wohlhabende aufgrund ihres Urlaubs- und Mobilitätsverhaltens und wegen der Brennstoffe, die sie in ihren Heizsystemen einsetzen, einen überproportionalen Beitrag zum Klimawandel leisten. Ärmere sind aber von klimawandel- und klimapolitikbedingten Preissteigerungen bei Energie und Nahrungsmitteln stärker betroffen. Darüber hinaus können sie sich Investitionen zur Steigerung der Energieeffizienz – thermische Sanierung, energieeffiziente Geräte – oftmals nicht leisten.

Auch die Statistik Austria hat sich in letzter Zeit systematisch mit den Zusammenhängen zwischen Einkommen und ausgewählten Umweltaspekten beschäftigt. So wurden 2014 in einer umfassenden Studie erstmals die umweltbezogenen Beobachtungen des Mikrozensus mit Einkommensdaten aus der EU-Statistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC) verschnitten. Dabei zeigte sich nicht nur, dass einkommensschwächere Gruppen stärker unter lokalen Umweltbelastungen leiden (siehe Beitrag Seite 14), auch der Konsum von biologisch erzeugten Lebensmitteln ist weniger verbreitet. Gleichzeitig sind sie stärker auf die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel angewiesen. Die Einkommensverteilung bestimmt also schon heute über den Zugang zu gesunden Wohnverhältnissen, Mobilitätsformen, hochwertigen Lebensmitteln und Energie. Nicht zuletzt angesichts der geplanten massiven Reduktion des Ausstoßes von Treibhausgasen in der relativ nahen Zukunft sind klimapolitisch motivierte Maßnahmen – wie Abgabenänderungen und Förderungen – daher stets auf ihre Verteilungs- (und Beschäftigungs-)wirkungen zu prüfen.