Politik

Wohlstand in Gefahr

Derzeit führt die Preisexplosion für Energie bereits so knapp nach der Covid-19-Krise zu merklichen Wohlstandsverlusten und letztendlich wahrscheinlich auch zu einer Rezession. Die Menschen des unteren Einkommensdrittels haben kaum finanzielle Reserven und drohen deshalb in die Armut abzurutschen. Noch hält der Arbeitsmarkt; auch dank weniger stark steigenden Arbeitskräfteangebots und des von den Unternehmen empfundenen Mangels an Arbeitskräften.

Verteilungskonflikte gewinnen in dieser Situation an Intensität. Denn während es auf der einen Seite viele Verlierer:innen gibt, gibt es auf der anderen Seite auch viele Gewinner:innen der Krise. Die Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist es, Ungleichheit zu verringern und die langfristigen gesellschaftlichen Ziele nicht aus dem Auge zu verlieren. Das bedarf einer aktiven, nicht abwartenden, einer gerechten, nicht von mächtigen Lobbys abhängigen, einer vorausschauenden, nicht kurzsichtigen Politik, um das Wohlergehen der arbeitenden Bevölkerung und der Armen zu schützen und zu erhöhen.

Der AK-Wohlstandsbericht 2022 zeigt merkliche Rückschritte im Wohlergehen und damit enorme Handlungserfordernisse für Politik und Gesellschaft. Besonders starke Verschlechterungen gegenüber dem Vorjahr gibt es in Bezug auf die Verteilung des Wohlstands und die ökonomische Stabilität. Das Ziel der Vollbeschäftigung und guten Arbeit profitiert noch von der günstigen Entwicklung des Arbeitsmarktes nach der Covid-Krise, doch der Ausblick trübt sich merklich ein, wie auch beim Ziel der Verringerung von Armut. Beim Ziel intakter Umwelt bleibt das große Manko das absehbare deutliche Verfehlen der internationalen Verpflichtungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen. 

Für eine wieder positive nachhaltige Entwicklung von Wohlstand und Wohlergehen gilt es die Energie- und Inflationskrise zu bekämpfen, den sozial-ökologischen Umbau zu beschleunigen und die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit zu verringern. 

Energie- und Inflationskrise bekämpfen

Wegen der hohen Inflation sinkt das real verfügbare Einkommen merklich und die Einkommensverteilung wird beeinträchtigt. Manche haben eine einfache Lösung: Die Europäische Zentralbank soll die Zinssätze so weit erhöhen, bis die Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen einbricht und die Inflationsrate deshalb zurückgeht. Sie nehmen bewusst eine tiefe Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit in Kauf. Das würde den Wohlstandsverlust für die breite Masse der Bevölkerung noch einmal verschärfen. Eine vernünftige Politik der Preisstabilität und der sozialen Abfederung muss behutsam und gleichzeitig gezielt vorgehen. Zunächst gilt es, den Anstieg der Energiepreise zu bremsen und umzukehren. Gezielte Preiskontrollen, eine Neufassung der Regulierung der Energiemärkte und Eingriffe der Wettbewerbspolitik sind die richtigen Ansatzpunkte, die um eine Steuer auf Übergewinne von Energiekonzernen zu ergänzen sind. Administrierte Preise sollen jetzt maximal um 2 Prozent angehoben werden. Das gilt auch für die Kategorie- und Richtwertmieten.

Die Bundesregierung hat die Folgen der Inflation für die Haushalte mit vielen Einmalzahlungen auszugleichen versucht. Das ist hilfreich. Viele Zahlungen kommen allerdings sehr spät und vor allem lösen sie die Armutsgefährdung nicht nachhaltig. Ein armutsfester Sozialstaat muss Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, Sozialhilfe und Mindestsicherung, Mindestpension und Unterhaltsvorschuss auf das Niveau der Armutsgefährdungsgrenze anheben. Für die Beschäftigten ist der kollektivvertragliche Lohnabschluss die entscheidende Absicherung gegen den Verlust von Kaufkraft. Den Lohn- und Gehaltsverhandlungen kommt deshalb in dieser Situation ganz besondere Bedeutung zu. 

Sozial-ökologischen Umbau beschleunigen

Der Energiepreisschock macht die langjährigen Versäumnisse in der Energiepolitik mit einem Schlag sichtbar. Die starke Abhängigkeit von fossilen Energieformen führt zu einem markanten Wohlstandsverlust. Ein Bemühen um niedrigere Energiepreise und ein umfassender Ausgleich der Wohlstandsverluste für Armutsgefährdete wie für die arbeitende Bevölkerung steht nicht in Widerspruch zum Umbau des Energiesystems. Im Gegenteil, der Ausbau erneuerbarer Energieformen muss beschleunigt werden, unterstützt durch Investitionen, Regulierung und Anreize. Gemeinden, Städte und alle öffentlichen Institutionen müssen unmittelbar einen konkreten Plan für die Umstellung der eigenen Energiesysteme umsetzen.

Gleichzeitig gilt es, die Energieeffizienz rasch zu erhöhen. Auch hier sind umfangreiche Investitionen notwendig: Etwa in die thermische Sanierung von Gebäuden oder den forcierten Austausch von fossilen Heizsystemen. Einen großen Beitrag kann auch der Umbau des Mobilitätssystems leisten. Das öffentliche Verkehrsangebot muss flächendeckend, leistbar und attraktiv sein. Der größte Fortschritt wäre auf regionaler Ebene durch bessere Busverbindungen und innovative Mikro-ÖV-Verbindungen erreichbar. In den Städten gilt es neben dem öffentlichen Verkehr das Radwegenetz und die Infrastruktur für Fußgänger:innen auszubauen. Das wird auch auf Kosten des motorisierten Individualverkehrs gehen.

Ein besserer Sozialstaat für alle

Wirtschaftliche Krisen drohen rasch zu sozialen Krisen zu werden, in denen sich Armut und Ungleichheit ausbreiten. Dies zu verhindern ist eine der wichtigsten Aufgaben des Solidarsystems. Der österreichische Sozialstaat gehört zu den besten der Welt und erlebt in den Krisen Sternstunden. Dennoch wird gerade auch in der Krise der eklatante Verbesserungsbedarf offensichtlich.

Für die Verhinderung der Ursachen von Armut sind vor allem Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt und bei den sozialen Diensten notwendig. Der gleichberechtigte und offene Zugang zu den sozialen Diensten ist eines der dafür wichtigsten Instrumente. Aber auch die sozialen Dienste selbst müssen an die Herausforderungen angepasst werden, die Wohlstands-Indikatoren zur Lebensqualität zeigen erheblichen Verbesserungsbedarf.

Im Bildungssystem gilt es, für Chancengleichheit zu sorgen, indem Kindergärten und Schulen mit besonderen Herausforderungen auch besonders gefördert werden und die Tagesbetreuung rasch ausgebaut wird. Das Vermeiden von Niedrigqualifikationen und die laufende Weiterbildung sind besonders wichtig.

Die Zahl der gesunden Lebensjahre unterscheidet sich zwischen sozialen Gruppen beträchtlich. Armut, prekäre Arbeit und soziale Ausgrenzung kosten Lebenszeit. Der Ausbau der Gesundheitsvorsorge ist dringend. Fast 6 Prozent der Bevölkerung leiden an Überlastung durch Wohnkosten. Für leistbares Wohnen ist der Ausbau des sozialen und geförderten Wohnbaus ebenso wichtig, wie eine Schärfung der Mietenregulierung, das Ende der Befristungen.

Die Leistungen der sozialen Pflege müssen rasch ausgebaut werden, um zu verhindern, dass im Alter und bei Pflegebedürftigkeit die Unterschiede zwischen Arm und Reich neuerlich schlagend werden. Alle haben ein Recht auf gute Pflegleistungen.

Eine Verringerung der Ungleichheit muss bei besseren Mindeststandards ansetzen, kann sich aber nicht darauf beschränken. Denn die hohe Konzentration des Vermögens beinhaltet unzählige Gefahren. Von klimaschädlichem Luxuskonsum etwa in Form von Privatjets über die Beeinträchtigung der Finanzierbarkeit des Sozialsystems bis zu Gefahren für die Demokratie durch den übergroßen Einfluss der Milliardär:innen. Progressive Steuern auf Vermögensbestände, Erbschaften und Vermögenserträge sind unverzichtbar. 

Bessere Arbeitsbedingungen

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt hat sich nach dem tiefen Einbruch in der Covid-Krise rasch wieder entspannt. Doch die für Haushalte und Unternehmen dramatisch steigenden Energiekosten drohen nun eine Rezession und damit eine starke Dämpfung der Nachfrage nach Arbeitskräften auszulösen. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit könnte ein jähes Ende haben.

Gleichzeitig haben sich verschiedene Indikatoren verschlechtert, die die Qualität der Arbeit messen. Die Beschäftigten klagen über verstärkten Arbeitsdruck, viele leiden unter zu langen Arbeitszeiten. Die ungünstigeren Arbeitsbedingungen stehen in Kontrast zum allgemein behaupteten Mangel an Arbeitskräften. Wenn Arbeitskräfte knapp sind, dann muss sich das in höheren Löhnen, besseren Arbeitsbedingungen und höheren Investitionen in die Arbeitskräfte niederschlagen. Wenn Firmen um Arbeitskräfte konkurrieren, dann müssen sich jene durchsetzen, die die günstigeren Bedingungen bieten. Das beschleunigt den Strukturwandel und erhöht den Wohlstand.

Ein nicht gedeckter Bedarf an Arbeitskräften muss auch den Ausgangspunkt für eine stärkere Orientierung an den Arbeitszeitwünschen der Menschen bilden. (Über-)lange Arbeitszeiten für Vollzeitbeschäftigte beeinträchtigen die Gesundheit und schränken das Wohlergehen merklich ein. Arbeitszeitgesetze müssen strenger kontrolliert werden, die Anreize für Überstunden sollen verringert werden. Eine Vier-Tage-Woche erhöht das Wohlbefinden, ermöglicht Eltern mehr Zeit für Kinder, verringert die Pendelzeiten und kann helfen, die Emissionen zu reduzieren. Eine Verringerung der Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten ermöglicht auch eine bessere Verteilung der unbezahlten Arbeit und damit eine Ausweitung der Arbeitszeit für Teilzeitbeschäftigte. Arbeitszeitverkürzung ist eines der wichtigen Instrumente für mehr Freiheit in der Arbeitsgesellschaft und für die Bewältigung der Klimakrise, weil sie dazu beitragen, Schadstoffausstoß, Ressourcenverbrauch sowie das klimaschädliche Wachstum von Konsum und Produktion zu beschränken und dabei Beschäftigung und Wohlstand zu sichern.