Editorial: Verteilungsblind

Solange es für die Gewerkschaftsbewegung darum ging, die Verbesserung der Arbeitsumwelt, des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz oder einer gesunden Wohnumgebung und einer hohen Lebensqualität zu verfolgen, bestand keinerlei Zielkonflikt zu Fragen des Umweltschutzes. Nachdem aber relativer Wohlstand und lebenswerte Umweltbedingungen für einen Großteil der Bevölkerung – zumindest in Kerneuropa – erreicht werden konnten, wurde der Widerspruch zwischen Wachstumsorientierung und deren ökologischen Grenzen immer offensichtlicher. Mittlerweile ist der ursprüngliche Glaube an den technologischen Fortschritt oder die Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit ohne existenzielle Verteilungskämpfe auch in den ArbeitnehmerInnenorganisationen verschwunden. Es stellt sich angesichts der drängenden klimapolitischen Herausforderungen die Frage, wie soziale und ökologische Anliegen gemeinsam verfolgt werden können bzw. wie ein verteilungsgerechter ökologischer Umbau des Wirtschaftssystems erreicht werden kann. Schließlich geht es nicht nur darum, ob sozial benachteiligte Gruppen stärker von Umweltbelastungen betroffen sind, sondern auch darum, wie die Kosten der erforderlichen umweltpolitischen Maßnahmen einerseits und die Folgen des Klimawandels andererseits sozial gerecht verteilt werden. Der aktuelle Schwerpunkt beleuchtet verschiedene Dimensionen der Thematik und spannt einen Bogen von einer sozial-räumlichen Betrachtung ungleicher Umwelt- und Gesundheitsbelastungen über die Auswirkungen umweltpolitischer Maßnahmen auf unterschiedliche Einkommensgruppen und Generationen bis zu Ansätzen einer breiten politischen Partizipation bei der Gestaltung eines sozial gerechten Transformationsprozesses. Am Beispiel der kontroversiellen Diskussion über Umweltsteuern zeigt sich besonders gut, wie notwendig eine Berücksichtigung verteilungspolitischer Wirkungen hier ist, wenn umweltbezogene Gerechtigkeit angestrebt werden soll. Es ist jedenfalls höchst an der Zeit, die umweltpolitische Diskussion von ihrem blinden Fleck bezüglich der Verteilungsgerechtigkeit zu befreien.