Schwerpunkt
Klimaresiliente Infrastruktur
Renaturierung im Sinne der Resilienz
„Aus dem Hochwasser 2002 wurden durchaus Lehren gezogen, aber lernen kann man nie genug.“ Zunächst ist laut Helmut Habersack festzuhalten, dass Hochwässer ein natürliches Ereignis sind. Flüsse treten über die Ufer. Jede:r hat in der Schule gelernt, dass dies im antiken Ägypten genau im Schnitt einmal im Jahr passiert ist. Das wäre laut Fachausdruck ein „HQ1“. Darauf konnten sich Mensch und Natur gut einstellen, der Reichtum Ägyptens basierte darauf. Seit der Antike hat sich manches geändert und die Begehrlichkeiten menschlicher Nutzung wurden größer. Flüsse sollten und sollen auch zur Energienutzung dienen. Die Landschaft verändert sich durch den Eingriff des Menschen.
Hier gilt es jedoch, die Risiken klug und vorausschauend abzuschätzen. Das Risiko durch Hochwasser steigt aus zwei Gründen. Der erste liegt in der Klimaerhitzung, die heute wissenschaftlich außer Streit gestellt sein sollte. Wenn die Temperatur um ein Grad Celsius zunimmt, steigt die Menge des enthaltenen Wassers um sieben Prozent. Das zusätzliche Wasser in der Luft kann sich dann mit enormen Wassermengen über uns abregnen – so wie im Jahr 2024. Deshalb ist häufiger mit HQ100 (einem „Jahrhunderthochwasser“), HQ300 und sogar HQ1000 zu rechnen. Letzteres wäre ein Hochwasser, das statistisch gesehen nur alle 1000 Jahre – vor dem Hintergrund der Klimaerhitzung aber viel häufiger auftritt.
Zum Zweiten gehört zum Risiko nicht nur das Wasser, sondern auch der dadurch verursachte Schaden. Hier spielt die Bautätigkeit der letzten Jahrzehnte eine entscheidende Rolle. Es kann nur zerstört werden, was zuvor gebaut wurde. Österreich hat seinen risikoreichen Kurs bestenfalls verlangsamt: Täglich gehen noch immer mehr als 10 Hektar Fläche Natur, Wiese und Ackerland als „Bodenverbrauch“ verloren, weil sie verbaut werden. Vieles davon in Flussnähe, da hier die Böden eben sind und die Infrastrukturen meist gut ausgebaut wurden (Straßen und Schienen verlaufen parallel zu Flüssen, an deren Ufern viele Ortschaften liegen). Entlang des Inns gingen in Tirol zwischen 1950 und 2010 ca. 27 Prozent des Grünlands durch Verbauung verloren. Diese Entwicklung spieße sich längst mit der Endlichkeit des Raumes, wie Habersack es ausdrückt.
Vom richtigen Umgang mit Fluss und Sand
Übrigens verursacht das Wasser nicht den größten Schaden bei Überflutungen, sondern die mitgeschleppten Sedimente. Der zurückbleibende Schlamm etwa verstopft Maschinen und Industrieanlagen. Nicht zuletzt deswegen geht es beim Wasserbau so oft um Sand. Will man die Risiken durch Überflutungen herunterfahren, müssten die Flüsse wieder näher an ihren früheren Feststoffhaushalt herangeführt werden. Die Donau sei hier beispielsweise komplett aus ihrem Gleichgewicht geraten. Flüsse sind nie dauerhaft stabil, aber das System der Donau sei in eine risikoreiche Lage geraten, in der sich die Extreme steigern. Der Fluss gräbt sich durch hohe Fließgeschwindigkeiten stellenweise tiefer ein. Das Sediment wird immer schneller abtransportiert und der tiefer liegende Fluss lässt zugleich die umliegenden Grundwasserspiegel sinken. In Kombination mit Hitze und Trockenheit ist dies ein Problem für Natur und Landwirtschaft.
Zugleich sammelt sich zu viel Sediment hinter den Staumauern. Die Wasserkraft ist eine sinnvolle Maßnahme im notwendigen Umbau von fossiler zu erneuerbarer Energie. Sie stellt jedoch einen schwerwiegenden Eingriff in Flussläufe dar. Helmut Habersack sucht hier gemeinsam mit Kolleg:innen weltweit nach Lösungen, für einen nachhaltigen Bau von Stauanlagen. Aktuell verlanden die Stauseen mehr, als Volumen durch neue Staudämme geschaffen wird und zwischen 2035 und 2080 sind viele Stauseen bis zu 80 % verlandet.Abhilfen wären ein „Flushing“, das zeitweilige Leerspülen der Staubecken, oder ein Bypass, wie bei einem Herzen. Dies will sorgfältig erprobt werden und genau dafür kann das in seiner Art weltweit einzigartige Wasserbaulabor in Wien genutzt werden. In riesigen Hallen können dort im Maßstab eins zu eins Schwebstoffablagerungen in Fließgewässern gemessen werden.
Die wirtschaftlichen Aspekte sind nie außer Acht zu lassen. Es mag sein, dass sich schnelle und billige Lösungen finden, aber ihre Folgen erzeugen enorme Kosten. Genau diese Folgenabschätzung kann mit dem Wasserbaulabor ermittelt werden. Österreichs Flussläufe kommen ohne den Eingriff von Menschen nicht mehr aus. Es wäre verfehlt anzunehmen, man könne leicht wieder eine natürliche Situation herstellen. Es müssen beispielsweise regelmäßig Sedimente und Steine eingebracht werden. Wenn nun die Fließgeschwindigkeit der Donau zu hoch ist, dann kann es sein, dass Österreich einen Stein in den Fluss gibt, der nach wenigen Jahren bereits im Nachbarland Ungarn liegt. In Summe sind das alles nicht zu vernachlässigende Kosten. Das Problem kann nur gesamteuropäisch gelöst werden, denn unter der schnell fließenden Donau leiden alle Anrainer. Aktuell verliert Rumänien bei der Donaumündung durch Küstenerosion 24 Meter im Jahr.
Was tun?
Der Kampf gegen Hochwasser ist komplex. Eine Reihe Maßnahmen wären nötig, die unterschiedlich stark in die bestehenden Strukturen eingreifen. Es beginnt mit so etwas Simplem, dass ein niedrigerer Damm billiger in der Errichtung ist und weniger Risiko hat zu brechen. Ein fehlender Freibord (der Abstand zwischen Wasserspiegel und Deichkante) der Deiche würde an gewissen Stellen dem Wasser erlauben bei vergleichsweise geringem Hochwasserstand über den Deich zu fließen und Areale zu überfluten, deren zeitweiliger Verlust tolerierbar ist. Habersack würde grundsätzlich dafür optieren, die Deiche näher an die Siedlungen zu bauen. Dann hat der Fluss mehr Raum sich auszubreiten, was auch eine gewisse heilsame Wirkung auf Bebauungspläne hat. Denn wer baut sein Haus wasserseitig vor dem Deich?
Bestehende Deiche können nicht von heute auf morgen verrückt werden. Aktuell muss festgehalten werden, dass Österreichs Flüsse zu eng sind und ein zu steiles Gefälle haben. Dies will Habersack keineswegs als Vorwurf an frühere Generationen des Wasserbaus verstanden wissen, denn auch damals wurde gute Arbeit geleistet, auf der er heute aufbaut. Die Vorgaben nach dem Zweiten Weltkrieg waren, möglichst viel Ackerland zur Ernährungssicherheit zu gewinnen, was damals auch nötig war. Heute hingegen werden manche landwirtschaftlichen Bereiche nicht mehr gebraucht oder sind durch frühere Hochwasser nicht mehr nutzbar. Verkaufen würden die Besitzer:innen dennoch nicht. Hier ist viel Überzeugungsarbeit nötig, die nur gelingen kann, wenn man alle Beteiligten mit ins Boot holt und gemeinsam Lösungen findet. Dabei könnte es sich gerade als Trumpf erweisen, wie viel mehr man heute gerade im Wasserbau weiß.
Die heute möglichen Prognosen lassen nicht nur Gefahren früh erkennen, sondern bieten einen Gestaltungsspielraum, den frühere Generationen nicht hatten. Deshalb findet Habersack den Begriff „Renaturierung“ ein wenig unglücklich, denn das klinge so, als wolle man zurück zu einer Natur des 19. Jahrhunderts. Daher plädiert er für den Begriff der Resilienz, also Widerstandsfähigkeit. Damit Flüsse künftig widerstandsfähiger sind und bei Hochwässern weniger Schäden anrichten, weil das Wasser nicht so rasch steigt, brauchen sie eben mehr Raum. Ein Resilienz-Plan muss Entwicklungen der Vergangenheit berücksichtigen. Die Mur ist heute beispielsweise nur mehr 76 Meter breit, eine Verdreifachung der Flussbreite wäre nötig, um Fließgeschwindigkeit und Risiken zu reduzieren. Dabei solle man sich vor Augen halten, dass der Fluss sich einst auf 1,5 Kilometern ausbreiten konnte.
Von der Durchführung des Resilienz-Plans könnten alle profitieren. Je weiter der Damm vom Fluss entfernt ist, desto mehr entkoppelt sich die Erosion des Flusses von der des Dammes, dessen Instandhaltung dann mit geringeren Kosten verbunden ist. Außerdem erlaubt sich Helmut Habersack anzumerken: Wenn in Deutschland 500 Milliarden für Infrastrukturausbau bereitgestellt werden, warum dann nicht auch kräftig – in ganz Europa – in den Wasserbau investieren? Wer Räume schafft für eine „potenziell natürliche Vegetation“, die ohne Eingriff des Menschen stabil bleibt, gewinnt dadurch Überflutungsflächen, Schutz vor Erosion und Naturerlebnisräume. Letztere dürften für den Tourismus nicht unwichtig sein. Kurzfristig gesehen entstehen bei der baulichen Erzeugung von Resilienzen schlicht Baustellen, bei denen von Planung über Bauwirtschaft unmittelbar wichtige Arbeitsplätze geschaffen werden.
Wie vermitteln?
Wer in dieser Weise Wirtschaft und Umwelt verbinden will, muss die Ideen aber auch unter die Menschen bringen. Um quasi motivierend zu mahnen, wird derzeit das Projekt „DANUBE4all“ entwickelt. Ein Online-Tool, das für den gesamten Donauraum, aufgeteilt in Tausende Abschnitte, die jeweiligen Möglichkeiten vom Hochwasserschutz über die Dürrebekämpfung bis hin zur Schifffahrt aufzeigt. User*innen sollen reinzoomen und nachsehen, welche Maßnahmen in ihrem Flussabschnitt möglich wären, und sehen, wie diese die Situation positiv beeinflussen würden. Über 60 verschiedene Maßnahmen sollen so in ihrer Auswirkung virtuell erlebt werden.
Generell seien die Menschen heute in Umweltfragen aufgeklärter als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Leute googeln einfach, wenn es um Fragen des Wasserbaus geht, der sie selbst und ihr Leben betrifft. Habersack findet dies gut, denn so kann ein gemeinsamer Prozess beginnen. Das Wasserbaulabor in Wien kann hier eine wichtige Rolle spielen. Es dient einerseits der Forschung, Datenermittlung und Modellbildung, es lädt andererseits auch Bürger:innen und Politiker:innen ein, die Auswirkungen von Fließwasser ganz unmittelbar zu erleben. Wer so über Risiken der Hochwasser und Möglichkeiten der Resilienz aufgeklärt ist, wird vielleicht leichter einen Willen zur Verbesserung der gemeinsamen Daseinsvorsorge entwickeln.