Betrieb

Fahrradbot:innen im Wandel

Die Situation der Fahrradbot:innen stand in den letzten Monaten stärker im medialen Fokus als je zuvor: Von Streiks wegen gescheiterter Kollektivvertragsverhandlungen über die Kündigung von über 1.000 Arbeitnehmer:innen bei Lieferando bis hin zu Novellen im Arbeits- und Verkehrsrecht – die Zusteller:innen mit den bunten Rucksäcken lösen wichtige gesellschaftliche Debatten über Gerechtigkeit aus.

Klima-Wandel?

Warentransporte im Straßenverkehr sind ein wichtiger Faktor in der CO2-Bilanz Österreichs. Rund zehn Prozent der jährlichen Emissionen entfallen auf den Gütertransport. Besonders ineffizient ist die sogenannte „letzte Meile”, also die Etappe der Lieferkette, bei der die Ware den Endkunden erreicht. Wenn kleine Pakete in großen Transportern durch die Stadt kutschiert werden, bedeutet dies kurze Strecken, häufige Stopps und viele Stehzeiten. Die Auslieferung mittels elektrischer Fahrräder schlägt hingegen zwei Fliegen mit einer Klappe. Sie stoßen deutlich weniger Emissionen aus und sind im innerstädtischen Verkehr wesentlich schneller am Ziel als sperrige Lieferwagen. Unternehmen wie zum Beispiel Pink Pedals in Graz oder Die Boten in Salzburg liefern bereits seit vielen Jahren Pakete, Dokumente oder medizinische Proben auf diese umweltfreundliche Art aus. 

Im Straßenbild gehen sie in der Übermacht der orange-, pink- und türkisfarbenen Rucksäcke jedoch fast unter. Diese drei Farben verbindet man auch mit den E-Mopeds, die auf Fahrradwegen zunehmend zum Ärgernis für Radfahrer:innen werden. Zudem haben E-Mopeds mit dem ursprünglichen Gedanken der Umweltfreundlichkeit nur noch wenig gemein. Die in den Akkus verwendeten Elemente Lithium und Kobalt werden in den ärmsten Ländern der Welt unter umweltzerstörerischen Verhältnissen geschürft. Die Arbeitsbedingungen der in den Minen arbeitenden Minderjährigen sind katastrophal. Die Frage globaler Gerechtigkeit beim Klimaschutz kann durch Fahrräder zumindest teilweise beantwortet werden. Die Elektrifizierung sollte jedoch nicht aus bloßer Bequemlichkeit erfolgen, sondern gezielt auf Lastenräder beschränkt werden.

Sinnes-Wandel?

Lieferando ist einer der weltweit größten Konzerne im Bereich der Essensauslieferung. Nach vielen Jahren, in denen alle seine Fahrradkuriere fix angestellt waren, hat er sich Anfang dieses Jahres zu einer völligen Kehrtwende entschieden. Seit Juni sind die Fahrer:innen – die „Rider”, wie sie sich selbst nennen – nur noch als freie Dienstnehmer:innen auf den Straßen unterwegs. Das bedeutet: kein bezahlter Urlaub, kein Arbeitsruhegesetz und kein gesichertes monatliches Einkommen mehr. Wenn niemand bestellt, bekommen sie kein Geld. Durch die Entscheidung Lieferandos wurde auch der weltweit erste Kollektivvertrag für Fahrradkuriere obsolet. Das Thema wurde nun durch eine Gesetzesinitiative unter Arbeitsministerin Schumann aufgegriffen. Künftig sollen die Sozialpartner entscheiden können, ob sie bei Kollektivverträgen freie Dienstnehmer:innen miteinbeziehen. Ein guter erster Schritt, der aber nicht alle Probleme der Branche lösen kann.

Langfristig kann Gerechtigkeit für Arbeitnehmer:innen nur mittels der Plattformdirektive der EU durchgesetzt werden. Sie besagt, dass bei digitalen Plattformen (wie Lieferando oder Uber) die Beweislastumkehr gilt. Nicht mehr die einzelnen Arbeitenden müssen ihre Rechte gegenüber milliardenschweren Großkonzernen hart vor Gericht erkämpfen, sondern die Unternehmen müssen belegen, warum kein reguläres Dienstverhältnis vorliegt, mit dem die Rider entsprechende Rechte hätten. Für die Umsetzung haben die EU-Länder bis Ende des Jahres 2026 Zeit. Bis dahin zieht Lieferando seinen Kurs auch in anderen Ländern weiter durch. Während der Mutterkonzern Just Eat Takeaway gerade für über vier Milliarden Euro vom südafrikanischen Investor Prosus (der pikanterweise bereits große Anteile an anderen Lieferdiensten hält) übernommen wird, werden in Deutschland tausende Fahrer:innen mit der Umstellung auf Subunternehmen konfrontiert.

Stimmungs-Wandel?

Mit Subfirmen und Sub-Subfirmen lässt sich viel Schindluder treiben. Die oftmals aus Drittstaaten stammenden Fahrradkuriere haben wenig Ahnung vom österreichischen Recht. Diese Ahnungslosigkeit wird skrupellos ausgenutzt. Finanzminister Marterbauer hat sich dieser Problematik mit einer „Aktion scharf“ der Finanzpolizei angenommen. Überprüft wurden Betriebe und Zusteller:innen direkt an den Tatorten, also mitten auf der Straße und in Restaurants. Die Bilanz ist alarmierend: Über zwei Drittel der im Juni 2025 überprüften Fälle stehen im Zusammenhang mit illegalen Beschäftigungsverhältnissen. Doch selbst wenn die steuer- und arbeitsrechtliche Gerechtigkeit nach langem Nichts­tun der Vorgängerregierungen wiederhergestellt wird, gibt es auf Österreichs Straßen noch viel Verbesserungsbedarf.

Wenn es nach den Plänen von Verkehrsminister Hanke geht, werden E-Mopeds künftig von den Fahrradwegen verbannt. Was Pedal-Enthusiast:innen wie ein Segen erscheinen mag, verbessert die Verkehrssicherheit kaum, denn E-Bikes wiegen fast genauso viel wie die geschassten Mopeds. Sinnvoller wären Qualifizierungskurse, zum Beispiel Kurse zu sozialen Rechten, vorausschauendem Fahren und Bremsschulungen, von denen sowohl die Kurierfahrer:innen als auch die anderen Verkehrsteilnehmer:innen profitieren würden. Wer über Gerechtigkeit spricht, kommt an den 
Lieferdiensten nicht vorbei. Unternehmen, Gesetz­geber oder Konsument:innen werden sich einer 
Frage nicht entziehen können: Wer liefert am Ende wen aus?