Schwerpunkt

Gerechtigkeit auf der Straße

Straßengüterverkehr braucht Kontrolle

Im September 2024 fand Europas größte Kontrolle des Schwerverkehrs des Jahres 2024 statt. Auf der A2-Südautobahn überprüften mehr als hundert Beamt:innen an zwei Tagen über 1.200 Lkws und Busse. Kontrolliert wurden unter anderem Geschwindigkeit, Konzessionen für den Güterverkehr sowie die Einhaltung der gesetzlichen Lenk- und Ruhezeiten. 

Das Ergebnis ist alarmierend: Bei fast jedem dritten Fahrzeug wurden Verstöße festgestellt. Besonders häufig betrafen diese die Nichteinhaltung von Lenk- und Ruhezeiten sowie gravierende technische Mängel. 21 Lkws mussten ihr Kennzeichen abgeben, 24 Fahrer:innen wurde aufgrund schwerer Defekte die Weiterfahrt untersagt, neun weitere verloren ihren Führerschein. 

Arbeiten am Limit schadet allen

Die festgestellten Verstöße sind nur die Spitze des Eisbergs. Dahinter verbergen sich systematische Missstände, die zulasten der Beschäftigten gehen. Schlechte Bezahlung, fehlende Wertschätzung und lange Arbeitszeiten fernab von zu Hause prägen den Alltag im liberalisierten Straßengüterverkehr in Europa. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist kaum gegeben – ein Grund, warum nur wenige Frauen in diesem Beruf tätig sind.

Ein Symptom der schlechten Arbeitsbedingungen ist die chronische Übermüdung vieler Lenker:innen. Laut einer europäischen Studie aus dem Jahr 2021 ist ein Drittel von ihnen innerhalb eines Jahres mindestens einmal am Steuer eingeschlafen. 57 Prozent gaben an, eigentlich Pausen machen zu wollen, verzichteten jedoch aus Angst um ihren Arbeitsplatz. Arbeiten am Limit gefährdet nicht nur die Fahrer:innen selbst. Im ersten Quartal 2025 war mehr als jede:r vierte Verkehrstote in einen Unfall mit einem Lkw verwickelt – der höchste Anteil seit Beginn der Erhebungen. 

Die Probleme reichen jedoch weit über die Verkehrssicherheit hinaus: Überhöhte Geschwindigkeit, technische Mängel und illegale Abgasmanipulationen schädigen auch Klima und Umwelt. Anrainer:innen leiden unter dem Lärm und der Luftverschmutzung. Die Klimakrise verschärft wiederum die ohnehin schlechten Arbeitsbedingungen, etwa durch Extremwetterereignisse, die die Fahrbedingungen erschweren, oder durch Tropennächte, in denen viele Fahrer:innen in der Lkw-Kabine auf überfüllten Rastanlagen ohne ausreichende Kühlung schlafen müssen. Schlechte Schlafqualität verstärkt die Übermüdung – ein Teufelskreis mit fatalen Folgen. In Österreich fehlen zudem Rastplätze mit entsprechenden Sanitäranlagen, die es den Fahrer:innen ermöglichen würden, ihre Freizeit angemessen zu verbringen. 

Transitland Österreich 

Der Straßengüterverkehr in Österreich hat sich seit dem Jahr 2000 nahezu verdoppelt – von 27 auf 55 Mrd. Tonnenkilometer. Als Transitland ist Österreich besonders betroffen: Zwei Drittel aller Lkws auf heimischen Straßen stammen aus dem Ausland, vor allem aus Polen, Ungarn und Slowenien. Grund ist die Liberalisierung des europäischen Güterverkehrs in den 1990er-Jahren, die einen Wettbewerb um die niedrigsten Löhne ausgelöst hat. 

So nutzen auch österreichische Unternehmen die niedrigeren Steuerquoten und Abgaben besonders in osteuropäischen Staaten, um ihre Tätigkeiten dorthin zu verlagern („Ausflaggen“) und Fahrer:innen zu möglichst niedrigen Löhnen zu beschäftigen. Auch Scheinkonstruktionen und Briefkastenfirmen werden eingesetzt, um Personalkosten und Abgaben möglichst gering zu halten. Dabei werden auch Lenker:innen aus Drittstaaten angestellt. Weil deren Aufenthaltsgenehmigung vom Arbeitsverhältnis abhängt, können sie leichter ausgebeutet werden.

Eine Befragung aus dem Jahr 2022 unter ukrainischen und belarussischen Lkw-Fahrenden, die in osteuropäischen EU-Staaten beschäftigt waren, ergab, dass kein:e Befragte:r den Mindestlohn des Einsatzlandes erhielt und 91 Prozent sogar weniger als vereinbart verdienten. Durchschnittlich waren die Fahrer:innen sechs bis acht Wochen am Stück unterwegs und anschließend zwei bis vier Wochen im unbezahlten „Urlaub“.

Kabotage: Konkurrenz aus dem Ausland

Für Unternehmen ist die Kabotage besonders lukrativ. Ausländische Lkws übernehmen dabei zusätzliche Transporte innerhalb eines Landes, wenn beispielsweise ein polnischer Lkw von Wien nach Salzburg liefert. Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien schätzt, dass jeder fünfte innerösterreichische Transport eine Kabotagefahrt ist. 

Eigentlich ist die Kabotage in der EU streng geregelt. Nach einem internationalen Transport nach Österreich sind nur drei innerstaatliche Fahrten innerhalb von sieben Tagen erlaubt. Zudem sind bestimmte Arbeitsbedingungen im Einsatzstaat, wie Mindestlöhne, Höchstarbeitszeiten oder bezahlter Mindestjahresurlaub, als Mindeststandards einzuhalten. Nicht alle Unternehmen halten sich jedoch an die Vorgaben. Die Wirtschaftsuniversität geht von einem nennenswerten Umfang illegaler Kabotagen aus, die teilweise auch systematisch betrieben werden. In der Regel werden somit Lkw-Fahrer:innen nach den Vorgaben ihres Herkunftslandes entlohnt, obwohl sie in Österreich nach österreichischen Mindestvorgaben zu entlohnen wären. Ausschlaggebend dafür sind die niedrigeren Steuern und das deutlich geringere Lohnniveau in vielen Nachbarländern, besonders in Osteuropa. Zum Vergleich: Der monatliche Bruttolohn im Bereich Transport und Lagerung liegt in Österreich bei 3.300 Euro, während er in der Slowakei bei 1.300 Euro und in Ungarn bei 1.100 Euro liegt. 

Zu wenige Kontrollen, zu milde Strafen

Illegale Kabotage lohnt sich, weil in Österreich kaum kontrolliert wird. Wie ein Vergleich der Gesamtzahl beladener Fahrten und der sämtlicher technischer Unterwegskontrollen des Jahres 2022 belegt, wurden nur 0,5 % aller Lkw-Fahrten in Österreich überprüft. Die Folge: Transporte werden zu Dumpingpreisen angeboten. Eigentlich müsste jeder Lkw-Transport um rund 20 Prozent teurer sein, wenn alle Vorschriften eingehalten würden. 

Die zersplitterten Kontrollzuständigkeiten in Österreich verhindern jedoch in der Praxis eine effektive Ahndung solcher Verstöße. Zwar werden bei den Schwerverkehrskontrollen der Landespolizeidirektion die allgemeinen Lenk- und Ruhezeiten und der technische Zustand des Fahrzeugs geprüft. Verstöße wegen das Lohn- und Sozial­dumping sowie andere Kabotageregelungen können jedoch nur von der Finanzpolizei kontrolliert werden. Diese nimmt aber nicht regulär an diesen Kontrollen teil, wenn nicht Schwerpunktkontrollen wie jene im September 2024 koordiniert werden. Ein abgestimmtes Vorgehen fehlt. Dadurch unterbleiben auch wichtige Folgeschritte, wie etwa die Einsicht in digitale Frachtdokumente oder die Weiterleitung an die Sozialversicherung. 

Hinzu kommt, dass die Strafen zu niedrig sind, um abzuschrecken. Die Strafen der Straßenverkehrsordnung (StVO) wurden beispielsweise seit 2009 nicht mehr an die Inflation angepasst, obwohl diese seither über 50 Prozent betragen hat. Umgerechnet bedeutet das: Wer heute eine Strafe zahlt, spürt diese um ein Drittel weniger. Damit sinkt die präventive Wirkung. Außerdem unterscheiden sich die Strafhöhen je nach Bundesland, und ohne einheitliches digitales Strafregister können Wiederholungstäter:innen kaum erfasst werden. Verstöße bleiben deshalb oft folgenlos – und gesetzestreue Unternehmen geraten im Wettbewerb ins Hintertreffen.

Mehr Fairness, Sicherheit und Einnahmen

Um wirksame Kontrollen sicherzustellen, müssen die Zuständigkeiten gebündelt werden. Diese Notwendigkeit der „Bündelung von Kompetenzen für effektive Kontrollen“ wurde auch im Regierungsprogramm klar identifiziert. Sinnvoll wäre eine gebündelte und effektive Kontrolle von Lenk- und Ruhezeiten, der  Kabotage und der Beschäftigungsrechte bis hin zu internationalen Vorgaben.

Die Vorteile liegen auf der Hand: einheitliche Vorgehensweise bei Schwerverkehrskontrollen in ganz Österreich, effizienterer Ressourceneinsatz, bessere Datenlage und mehr Fairness für jene Unternehmen, die sich an die Regeln halten. Die Schwerpunktkontrolle im September 2024 brachte allein durch vor Ort verhängte Strafen fast 90.000 Euro ein. Laut einer Studie der Wirtschaftuniversität Wien entgehen dem österreichischen Staat und dem Sozialversicherungssystem durch illegale Kabotage jährlich 500 Millionen Euro und rund 14.000 Jobs. Die Frage ist daher nicht, ob sich strengere Kontrollen und höhere Strafen lohnen, sondern ob sich Österreich einen Verzicht darauf leisten kann.

Gebündelte Kontrollen, höhere Strafen und bessere Arbeitsbedingungen würden nicht nur Beschäftigte schützen, sondern auch Anrainer:innen sowie Klima und Umwelt entlasten – und die Verkehrssicherheit für alle erhöhen.