Schwerpunkt
Gerechtigkeit auf der Straße
„Es mangelt an Wertschätzung für Berufskraftfahrer:innen“
Wie sieht ein gewöhnlicher Tag im internationalen Fernverkehr aus?
Sonntagabend Tasche packen und von der Familie verabschieden. Die Fahrerkarte ins Kontrollgerät stecken. Der Fahrzeugcheck, ein vorgeschriebener Rundumgang und dann Fahrt in die Nacht. Nach viereinhalb Stunden gibt es die erste gesetzliche Pause von mindestens 45 Minuten und dann nochmals viereinhalb Stunden Lenkzeit. Die Arbeitszeit darf bis zu 15 Stunden betragen. 13 bis 14 Stunden Arbeitszeit sind im internationalen Verkehr an der Tagesordnung, würde ich sagen.
Sie fahren heute „nur“ mehr Nahverkehr. Vermissen Sie die Langstrecke?
Nein. Der Fernverkehr war früher eine super Sache. Als ich Ende der 1980er Jahre anfing, gab es noch keine offenen Grenzen und ich durfte fremde Länder und Leute kennenlernen. Ohne Handys war man nicht dauernd erreichbar und freier. Man konnte auch mal an den Strand fahren und eine Auszeit genießen. Es war eine andere Zeit und der Verkehr war ganz anders. Der heutige Parkplatzmangel in den Industriegebieten und im hochrangigen Straßennetz ist beispielsweise gigantisch. Es fehlen in Österreich etwa 5.000 bis 8.000 Stellplätze mit adäquater Sozialinfrastruktur. Ab 17 Uhr beginnt der Kampf um einen Stellplatz. Wenn die Lenkzeit ausgeht und zugleich die Abladetermine einzuhalten sind, ist das der absolute Stress.
Wird deshalb die Branche von Nachwuchssorgen geplagt?
Ja. Aber ich will aufzeigen und Lösungsvorschläge bieten. Die Sozialmaut wäre ein gutes Konzept. Der Straßengüterverkehr zahlt pro Kilometer Maut. Wenn wir hier einen Cent pro Kilometer für die Sozialinfrastruktur verwenden könnten, dann hätten wir 35 bis 38 Millionen Euro im Jahr, die man in leistbares Essen, Duschen und Gesundheitswesen investieren könnte. Für Fahrer:innen ist es ja nicht selbstverständlich, zum Arzt gehen zu können. Die kämpfen sich dann mit den Tabletten durch. Man denke an die Verkehrssicherheit, wenn jemand angeschlagen mit einem 40-Tonner unterwegs ist! Seit 2007 engagiert sich hier der Verein DocStop. Mit seinen Partner:innen aus Wirtschaft und Gesundheit bietet er eine europaweit kostenlose Hotline in 19 Sprachen an, um niederschwellig Arztbesuche zu ermöglichen. Solche Initiativen brauchen Unterstützung der Politik, um sie ausreichend bekannt zu machen.
Wie sieht es mit den Kontrollen aus?
Kontrollen sind wichtig und richtig, vor allem in Richtung Kabotage und Sozialmissbrauch. Es kann nicht sein, dass Kolleg:innen aus Osteuropa wochenlang nur Strecken innerhalb von Österreich fahren. Dadurch verlieren österreichische Speditionen Aufträge und das ist illegal. Hier müsste es flächendeckende Kabotage-Kontrollen geben, um osteuropäischen Transportunternehmen das Handwerk zu legen. Nur arbeiten Zoll und Polizei in Österreich viel zu wenig zusammen. Es müsste eine Behörde geben, die einheitlich zuständig ist. Warum ist das wichtig? Das Sozialdumping, das osteuropäische Firmen bei Fahrer:innen aus Drittstaaten begehen, geht so weit, dass ich da teilweise von moderner Sklaverei sprechen würde.
Würden Sie heute wieder Lkw-Fahrer werden?
Ach, die Frage bekomme ich oft gestellt. Trotz meiner Leidenschaft für diesen Beruf: In der heutigen Zeit kann ich meine damalige Berufswahl nicht mehr empfehlen. Um Familie und das soziale Umfeld unter einen Hut zu bringen, brauchen wir neue Arbeitszeitmodelle. Das wird teilweise ja auch schon von Firmen angeboten, aber in der Praxis ist eben kein Tag wie der andere. Die Verzögerungen und Wartezeiten werden immer größer. Mit der Just-in-time-Produktion hat sich die Verantwortung für die Fahrer:innen gesteigert und die Wertschätzung wurde geringer. Ich denke, es muss sich gesellschaftlich einiges ändern. Vielleicht ist das ja auch eine Chance. Schauen Sie sich in Ihrer Wohnung mal um! Alles, was Sie sehen, wurde zumindest einmal von einem Lkw transportiert. Wir Fahrer:innen sind essentiell und sollten auch so behandelt werden. FJ