Schwerpunkt

Gerechtigkeit auf der Straße

Liberalisierung führt aufs Abstellgleis

Von den 73 in Österreich registrierten Eisenbahnverkehrsunternehmen (Stand 2024) sind 61 im Schienengüterverkehr aktiv. Davon kann ein hoher Wettbewerbsgrad abgeleitet werden, der sich auf europäischer Ebene widerspiegelt. So ist der Marktanteil von privaten Schienengüterverkehrsunternehmen 2023 auf über 55 Prozent gestiegen. Allerdings dreht sich die Wettbewerbsintensität um einen kontinuierlich kleiner werdenden Kuchen. Betrachtet man die verschiedenen Varianten des Schienengüterverkehrs, wird die Situation klarer: Einzig der Ganzzugverkehr (siehe Abbildung unten) kann aufgrund der geringen Warenumschläge profitabel abgewickelt werden, weshalb private Eisenbahnverkehrsunternehmen überwiegend in diesem Feld tätig sind. Im Gegensatz dazu sind der Kombinierte Verkehr (KV), der Containertransport auf Straße, Schiene und Schifffahrt kombiniert, sowie der Einzelwagenverkehr (EWV), der komplexe Zugbildungsprozesse erfordert, wesentlich arbeits- und daher kostenintensiver. Der EWV wird in Österreich ausschließlich vom ÖBB-Eisenbahnverkehrsunternehmen Rail Cargo Austria angeboten. Laut dem österreichischen Kompetenzzentrum für Eisenbahnwesen SCHIG wurden im Jahr 2022 damit Güter im Ausmaß von 1,4 Millionen Lkw-Fahrten transportiert. 

Kahlschlag beim Einzelwagenverkehr?

Eine beträchtliche Gütermenge also, die jedoch aufgrund des hohen Wettbewerbs- und damit Kostendrucks zunehmend einbricht. Trotz Ausschöpfung des zulässigen europarechtlichen Beihilfe­rahmens findet für den EWV europaweit eine dramatische Verlagerung auf die vermeintlich günstigere Straße statt. Die französische Hexafret (ehemals SNCF Fret), die deutsche DB Cargo und die polnische PKP Cargo kämpfen gegen die Verlagerung des EWV auf die Straße. Einzig die Schweizer SBB Cargo hat mit dem im März 2025 verabschiedeten Gütertransportgesetz staatliche Maßnahmen gesetzt, um den EWV für die kommenden acht Jahre finanziell abzusichern. Im Gegensatz dazu veröffentlichte die DB Cargo im Juli 2025 die alarmierende Nachricht, dass ihre EWV-Sparte im Jahr 2024 einen Verlust von 365 Millionen Euro verursacht hat und ohne zusätzliche staatliche Maßnahmen 8.000 Arbeitsplätze abgebaut werden müssen. Damit droht in Deutschland eine Verlagerung im Ausmaß von 40.000 Lkw-Fahrten täglich auf die Straße. Im Februar 2025 haben die Sozialpartner auf europäischer Ebene einen gemeinsamen Aufruf veröffentlicht, in dem sie die Beendigung der unfairen Wettbewerbsvorteile des Straßengüterverkehrs sowie die Erhöhung der zulässigen Fördergrenzen für den KV und EWV fordern.

Soziale und ökologische Standards für den Güterverkehr

Das fortschreitende Lohn- und Sozialdumping im Straßengüterverkehr setzt Arbeitnehmer:innen auf der Schiene zunehmend unter Druck. Im grenzüberschreitenden privatwirtschaftlichen Schienengüterverkehr häufen sich massive Arbeitszeitüberschreitungen. Die leicht manipulierbaren Arbeitszeitaufzeichnungen machen diese Verstöße schwer nachweisbar. Die Wettbewerbssteigerung im Güterverkehr befeuert somit eine verkehrte Entwicklung. Die soziale und ökologische Krise im Verkehrsbereich verschärft sich merklich. Zur Erreichung der Klimaziele und Stärkung der Lieferkettenresilienz sind menschenwürdige Arbeitsbedingungen und eine Abkehr von liberalen Zielsetzungen dringend erforderlich. Dazu gehören eine verpflich­tende Verlagerung von Gütertransporten auf die Schiene, die Einführung standardisierter fälschungssicherer Arbeitszeitaufzeichnungen, eine grenzüberschreitende Kompetenz­ausweitung der Kontrollbehörden sowie die längst überfällige Beendigung der Kostenunwahrheit zugunsten des Straßengüterverkehrs. Nur so kann der Güterverkehr im Interesse der Vielen funktionieren.