Schwerpunkt
Gerechtigkeit auf der Straße
Wirtschaftswachstum mit weniger Verkehr?
Die Verkehrsnachfrage im Güterverkehr hängt eng mit der Wirtschaftsentwicklung zusammen. Ein Vergleich der historischen Entwicklung des Güterverkehrs mit dem Zuwachs der Wirtschaftsleistung in Österreich zeigt, dass Gesamttransportaufkommen und -leistung langfristig stärker wachsen als die Wirtschaft. Ausnahmen bilden Wirtschaftskrisen, wie jene in den Jahren 2008/2009 oder die Umbrüche der letzten Jahre, die durch Pandemie und Angriffskrieg gegen die Ukraine ausgelöst wurden und die zu stärkeren Einbrüchen des Güterverkehrs als bei der Wirtschaftsleistung führten. Es wird eine deutliche Kopplung von Wirtschaft und Gütertransport erkennbar, bei der zuweilen sogar die Zuwächse im Güterverkehr im Verhältnis stärker ausfallen als das Wachstum der Wirtschaft. In Krisenzeiten kann sich dieses Verhältnis umkehren und die Transportnachfrage reduziert sich stärker als die Wirtschaft.
Differenzierte Betrachtungen nach Branchen zeigen, dass der Zusammenhang nicht überall gleich ausgeprägt ist. So ist im Bereich Fahrzeuge, Maschinen und sonstige Waren langfristig ein deutlich höheres Verkehrswachstum als das Wachstum der Bruttowertschöpfung dieser Branche eingetreten. Die Branche Chemie hingegen ist der einzige Sektor, in dem das Verkehrswachstum niedriger ausfällt als das Wirtschaftswachstum.
Es gibt viele Gründe für die Verkehrszunahme
Jede Transportbewegung innerhalb des Wirtschaftsgeschehens ist das Resultat einer ganzen Reihe von Entscheidungen: Welcher Produktionsstandort wurde gewählt, welche Produktionsprozesse, wie werden Distribution und Vertrieb beziehungsweise später der Handel organisiert und, nicht zuletzt, welche Transportdienstleister:innen wurden ausgewählt? Diese Entscheidungen werden von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst und haben Auswirkungen auf die Entwicklung von Verkehr und Wirtschaft. Für Österreich zeigen quantitative Analysen, dass insbesondere die durchschnittliche Transportdistanz und die Beladung der Fahrzeuge wichtige Faktoren darstellen. Aber auch die Produkteigenschaften – wie beispielsweise die „Materialintensität“, mit der der effiziente Einsatz inländischer Ressourcen gemessen wird – sowie die Infrastrukturentwicklung haben einen wichtigen Einfluss auf die vorhandene Kopplung zwischen Wirtschafts- und Verkehrswachstum.
Um das Potenzial von Maßnahmen zur Entkopplung von Güterverkehrs- und Wirtschaftswachstum bewerten zu können, muss zunächst erkannt werden, welche Maßnahmen überhaupt zu einer Vermeidung von Verkehr führen, ohne dabei die Wirtschaftsentwicklung zu reduzieren. Wirken werden nur jene Maßnahmen, die genügend großen Einfluss auf die oben angeführten unterschiedlichen Faktoren zur Entkopplung haben. Maßnahmen, die eine hohe Wirkung in den Bereichen Verlagerung (beispielsweise eine Änderung der Marktanteile zwischen den Verkehrsträgern zugunsten der Schiene gegenüber der Straße) und Verbesserung (beispielsweise durch den Umstieg auf nachhaltige Antriebe) erzielen, zugleich keine oder nur eingeschränkte Wirkung im Bereich Verkehrsvermeidung haben, sind zwar wichtig, haben im Zusammenhang mit der Reduktion des Güterverkehrswachstums insgesamt jedoch keine Relevanz. Entscheidend ist letztlich, den Güterverkehr wirtschaftlich verträglich zu reduzieren.
Wie kann das Wirtschaftswachstum von der Entwicklung des Güterverkehrs entkoppelt werden?
Insgesamt gibt es drei mögliche Maßnahmenblöcke, um das Güterverkehrswachstum wirtschaftlich verträglich zu reduzieren:
- Den Verkehr verteuern. Die Entkopplung kann nur erreicht werden, wenn die Transportkosten deutlich angehoben und die eingenommenen Mittel in das System zurückgeführt werden, um die Wirtschaft bei den notwendigen Umstellungen ihrer Prozesse zu unterstützen.
- Produktionsstrukturen, Liefer- und Transportketten so anpassen, dass Transportwege verkürzt oder vermieden werden können. Diese Strukturanpassungen benötigen allerdings Zeit zur Umsetzung, Wirkungen können in diesem Bereich daher nur langfristig erwartet werden.
- Den Produktionsprozess und die logistischen Abläufe durch Digitalisierung weiter optimieren und so den Mitteleinsatz reduzieren, um die Transporte effizienter zu gestalten und die Koordination zwischen den Unternehmen zu vereinfachen. Voraussetzung dafür ist, dass die digitale Infrastruktur, die digitale Hardware und die digitale Software in den Unternehmen verfügbar und aufeinander abgestimmt sind.
Jedenfalls ist es wichtig, dass alle genannten Maßnahmen in geeigneter Weise zusammenwirken und sich ergänzen. Mit Einzelmaßnahmen wird sich eine Güterverkehrsreduzierung nicht ohne wirtschaftliche Verluste erreichen lassen. Es sind deshalb Pull- und Push-Maßnahmen zu kombinieren und es bedarf eines Mixes aus lokalen, regionalen und nationalen Maßnahmen. Letztendlich wird eine Entkopplung nur dann erreichbar sein, wenn möglichst viele Maßnahmen auf europäischer Ebene abgestimmt und umgesetzt werden.